Ferne Ufer
kleinen Schriftzug etwa einen Zentimeter entfernt - »liegt die Felsformation. Jamie ist nach Lallybroch zurückgegangen und hat sich dort versteckt.«
»Leider besitze ich keine Lupe, daher muß ich dir wohl glauben, daß dort ›Leap O’the Cask‹ steht«, sagte Roger, während er sich aufrichtete. Er lächelte Brianna an. »Gratuliere! Sieht so aus, als ob du ihn gefunden hättest.«
Brianna strahlte. »Ja«, sagte sie weich. Zärtlich strich sie mit dem Finger über die zwei Bögen. »Mein Vater.«
Claire drückte ihrer Tochter die Hand. »Wie schön, daß du nicht nur die Haare deines Vaters, sondern auch den klugen Kopf deiner Mutter geerbt hast. Da gibt es bei Fionas Abendessen ja einiges zu feiern!«
»Gute Arbeit«, lobte Roger, als er und Brianna Claire ins Speisezimmer folgten. Er schlang ihr den Arm um die Taille. »Du kannst stolz sein.«
»Danke«, erwiderte sie lächelnd. Doch gleich darauf wurde ihr Gesicht wieder ernst.
»Was ist?« fragte Roger und blieb im Flur stehen.
»Ich weiß nicht recht.« Nachdenklich runzelte Brianna die Stirn. »Ich habe mir nur überlegt… ich versuche mir vorzustellen, wie das für ihn war, sieben Jahre in einer Höhle zu leben. Und was danach geschehen ist.«
Impulsiv beugte Roger sich vor und küßte sie zart auf die Stirn.
»Das weiß ich nicht, Liebes. Aber vielleicht finden wir das auch noch heraus.«
ZWEITER TEIL
Lallybroch
4
Braunkappe
Lallybroch, November 1752
Einmal im Monat, nachdem ihm einer der Jungen mitgeteilt hatte, daß keine Gefahr bestand, ging er ins Haus, um sich zu rasieren. Immer nur nachts, und gewöhnlich schlich er wie ein Fuchs auf Beutezug durch die Dunkelheit. Aber dieser kleine Tribut an ein zivilisiertes Leben schien ihm notwendig.
Wie ein Schatten huschte er in die Küche, wo ihn Ian mit einem Lächeln oder seine Schwester mit einem Kuß begrüßte, und schon begann seine Verwandlung. Ein Kessel mit heißem Wasser kochte auf dem Herd, und auf dem Tisch lagen ein frisch geschärftes Rasiermesser und was immer als Rasierseife zur Verfügung stand - wenn sein Vetter Jared aus Frankreich ein Päckchen geschickt hatte, war es echte Seife, sonst halb ausgelassener Talg mit Lauge.
Sobald er den Duft der Küche einatmete, begann die Verwandlung. Aber erst wenn er mit der Zeremonie des Rasierens fertig war, fühlte er sich wieder wie ein Mensch.
Sie hatten sich daran gewöhnt, daß er erst reden mochte, wenn er sich rasiert hatte: Nach einem Monat Einsamkeit fiel ihm das Sprechen schwer. Nicht, daß ihm nichts eingefallen wäre. Aber die Worte steckten in der Kehle wie Balken und behinderten sich gegenseitig, denn er wollte sie alle in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, loswerden. Deshalb brauchte er immer erst einige Minuten, um seine Gedanken zu ordnen.
Zum einen wollte er wissen, was alles geschehen war - wie viele englische Patrouillen durch die Gegend streiften, wer festgenommen worden war, wem in England und London der Prozeß gemacht wurde. Aber das konnte warten. Lieber sprach er erst mit Ian über das Gut und mit Jenny über die Kinder. Wenn es sicher
schien, holte man die Kleinen herbei, damit sie ihren Onkel verschlafen umarmen und küssen konnten, bevor sie wieder in ihre Betten stolperten.
»Er wird jetzt bald zum Mann«, waren im September Jamies erste Worte. Dabei wies er mit dem Kopf auf Jennys ältesten Sohn, der seinen Namen trug.
»Ja, noch einer, um den ich mir Sorgen machen muß«, entgegnete Jenny. Doch der Stolz, mit dem sie ihrem zehnjährigen Sohn im Vorbeigehen über die Schulter strich, strafte ihre Worte Lügen.
»Hast du von Ian gehört?« fragte Jamie. Sein Schwager, der unter dem Verdacht stand, ein Anhänger der Jakobiten zu sein, war vor drei Wochen zum viertenmal verhaftet und nach Inverness gebracht worden.
Kopfschüttelnd stellte Jenny eine abgedeckte Schale vor Jamie auf den Tisch, aus der es verlockend nach Rebhuhnpastete duftete. Jamie lief das Wasser im Munde zusammen.
»Wir brauchen keine Angst um ihn zu haben«, erklärte Jenny. Doch die Falte zwischen ihren Brauen wurde tiefer. »Ich habe Fergus nach Inverness geschickt, damit er die Übertragungsurkunde und Ians Entlassungspapiere aus der Armee vorzeigt. Sie werden ihn freigeben, sobald sie begreifen, daß Lallybroch nicht ihm gehört und daß von ihm nichts zu holen ist.« Mit einem Blick auf ihren Sohn zog sie den Bierkrug heran. »Und sie werden wohl kaum beweisen können, daß dieser Grünschnabel hier ein
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