Ferne Ufer
ein lieber Kerl, Jamie.« In ihre Wangen kehrte allmählich die Farbe zurück. Lächelnd trat sie auf ihren Bruder zu und umarmte ihn. Kein leichtes Unterfangen bei dem fortgeschrittenen Stadium ihrer Schwangerschaft, aber tröstlich. Jamie ließ das Kinn auf ihrem dunklen, schimmernden Schopf ruhen und atmete ihren Duft nach Kerzenwachs und Zimt, nach Talgseife und Wolle ein.
»Wo sind die anderen?« fragte er, als er sie widerstrebend freigab.
»Mrs. Crook ist gestorben«, antwortete sie. Die feinen Falten zwischen ihren Brauen wurden tiefer.
»Aye?« fragte er leise und bekreuzigte sich. »Das tut mir leid.« Mrs. Crook war als Küchenmagd zur Familie gekommen, als seine Eltern vor über vierzig Jahren geheiratet hatten, und später Haushälterin geworden. »Wann?«
»Gestern nachmittag, es kam nicht überraschend. Die gute Seele hatte einen sanften Tod, ganz so, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie starb in ihrem Bett, während Vater McMurtry ein Gebet für sie sprach.«
Nachdenklich blickte Jamie auf die Tür, die von der Küche zu den Kammern der Dienstboten führte. »Ist sie noch da?«
Seine Schwester schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ihrem Sohn vorgeschlagen, die Totenfeier bei uns abzuhalten, aber die Crooks
hielten es angesichts der Umstände…« - mit dieser Umschreibung war nicht nur Ians Verhaftung gemeint, sondern auch umherstromernde Rotröcke, unterkriechende Pächter, der Mangel an Nahrung und Jamies gefahrvoller Aufenthalt in der Höhle - »für besser, in Broch Mordha im Haus ihrer Schwester zusammenzukommen. Die anderen sind jetzt gerade dort. Aber ich habe mich entschuldigt, ich würde mich unwohl fühlen.« Schelmisch lächelte sie ihn an. »In Wirklichkeit wollte ich nur mal meine Ruhe haben.«
»Und jetzt komme ich und störe dich«, sagte Jamie zerknirscht. »Soll ich gehen?«
»Nein, du Dummkopf«, entgegnete Jenny herzlich. »Setz dich hin und schau mir beim Kochen zu.«
»Was gibt’s denn?« fragte er erwartungsvoll.
»Das hängt davon ab, was du mitgebracht hast.« Schwerfällig stapfte Jenny durch die Küche, holte Zutaten aus Schrank und Regal und rührte in dem Kessel über dem Feuer, aus dem ein blasser Dampf aufstieg.
»Wenn du Wild dabeihast, essen wir heute Fleisch. Wenn nicht, bleiben uns nur Brühe und Gerstenbrei.«
Jamie schnitt eine Grimasse. Die Aussicht erschien ihm nicht gerade verlockend.
»Gott sei Dank hatte ich Glück.« Er knüpfte seine Jagdtasche auf und ließ drei Kaninchen auf den Tisch fallen. »Und Schlehen«, fügte er hinzu, während er den Inhalt seiner Kappe, die nun von Saftflecken geziert war, auf einen Teller kippte.
Jenny riß die Augen auf. »Kaninchenpastete also«, erklärte sie. »Zwar nicht mit Johannisbeeren, aber vielleicht sind Schlehen ja sogar noch besser. Zum Glück reicht die Butter.« Plötzlich entdeckte sie, daß sich in dem Fellhaufen etwas bewegte. Resolut schlug sie mit der Hand auf den Tisch und machte dem Eindringling den Garaus.
»Bring sie nach draußen und häute sie, Jamie, sonst hüpfen uns die Flöhe noch durch die ganze Küche.«
Als er mit den gehäuteten Kaninchen zurückkam, war der Pastetenteig schon fast fertig. Jenny hatte Mehlflecken auf dem Kleid.
»Willst du die Tiere in Stücke schneiden und die Knochen brechen, Jamie?« bat sie mit einem Blick in das Rezeptbuch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag.
»Du kannst doch wohl eine Hasenpastete zubereiten, ohne ins Buch zu sehen!« meinte er, während er gehorsam den großen Holzhammer aus dem Küchenschrank holte. Er verzog das Gesicht, als er das Gewicht in der Hand spürte. Nicht viel anders hatte der Hammer ausgesehen, mit dem man ihm vor einigen Jahren in einem englischen Gefängnis die rechte Hand gebrochen hatte.
»Aye, schon«, erwiderte Jenny abwesend, während sie umblätterte. »Nur wenn einem die Hälfte der Zutaten für ein Rezept fehlen, findet man hier manchmal Dinge, die man als Ersatz verwenden kann.« Sie runzelte die Stirn. »Normalerweise nehme ich Bordeaux für die Sauce. Aber außer den Fässern von Jared im Priesterloch haben wir keinen mehr. Und die möchte ich nicht anbrechen, denn womöglich brauchen wir sie noch.«
Wofür, lag auf der Hand. Ein Fäßchen Bordeaux konnte Ians Freilassung erkaufen - oder zumindest Neuigkeiten über seinen Verbleib. Verstohlen musterte Jamie Jennys runden Leib. Selbst mit seiner beschränkten Erfahrung konnte er sagen, daß ihre Zeit bald kommen würde. Ohne nachzudenken, griff er nach
Weitere Kostenlose Bücher