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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Verräter ist.«
    Trotz des Ärgers, der dabei durchklang, war ihr deutlich anzusehen, wieviel Genugtuung es ihr bereitete, die englischen Richter an der Nase herumzuführen. Die abgegriffene Urkunde, die bewies, daß das Gut Lallybroch von dem älteren Jamie an den jüngeren übergegangen war, war schon öfter bei Gericht vorgelegt worden - und zwar immer dann, wenn die englische Krone versuchte, Hand an den vermeintlichen Besitz eines jakobitischen Verräters zu legen.
    Wenn er aufbrach, verlor sich das Gefühl, ein Mensch unter Menschen zu sein. Manchmal begleiteten ihn die Wärme und Geborgenheit, die ihn bei seiner Familie umfangen hatten, bis zur Höhle, doch zu anderen Zeiten verschwanden sie praktisch auf der Stelle, wurden ihm entrissen vom Wind oder von dem beißenden, stechenden Rauch, der in der Luft lag.

    Die Engländer hatten drei Gehöfte jenseits der Felder in Brand gesteckt. Hatten Hugh Kirby und Geoff Murray von ihrem Platz an der Feuerstelle gezerrt und auf ihrer eigenen Schwelle erschossen - ohne ein Wort, ohne eine offizielle Anklage. Der junge Joe Fraser war ihnen entkommen, gewarnt von seiner Frau, die die Engländer hatte hereinreiten sehen, und hielt sich drei Wochen bei Jamie in der Höhle versteckt. So lange, bis die Engländer das Gebiet verlassen hatten - nicht ohne Ian als Gefangenen mitzunehmen.
     
    Im Oktober hatte er zuerst mit den älteren Burschen geredet, mit Fergus, dem Franzosen, den er aus einem Bordell in Paris mitgebracht hatte, und dessen bestem Freund, Rabbie MacNab, dem Sohn der Küchenmagd.
    Jamie zog die Klinge langsam über die Wange und die Rundung seines Kinns, bevor er sie am Rand des Beckens abstreifte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ihn Rabbie MacNab mit unverhohlenem Neid betrachtete. Mit offenem Mund starrten ihn die drei Jungen - Rabbie, Fergus und der junge Jamie - an und ließen sich keine seiner Bewegungen entgehen.
    »Habt ihr noch nie gesehen, wie ein Mann sich rasiert?« fragte Jamie spöttisch.
    Rabbie und Fergus tauschten einen vielsagenden Blick, überließen jedoch dem jungen Jamie die Antwort.
    »Doch, schon… aye, Onkel…« Er wurde rot. »Ich meine… mein Dad ist nicht da. Und wenn er zu Hause ist, dürfen wir ihm nur selten zusehen. Und nach… nach einem Monat hast du so viele Haare im Gesicht, Onkel. Und überhaupt ist es ja bloß deswegen, weil wir so froh sind, dich wiederzusehen und…«
    Plötzlich wurde Jamie klar, daß den drei Burschen sein Schicksal äußerst romantisch erscheinen mußte. Allein in der Höhle, die er nur bei Nacht verließ, um im Schutz der Dunkelheit auf die Jagd zu gehen, schmutzig, mit verfilztem Haar und wildem, rotem Bart - ja, jemand in ihrem Alter hielt das Leben eines Geächteten sicher für ein großes Abenteuer. Mit zehn, fünfzehn und sechzehn hatten sie noch keine Vorstellung von nagenden Schuldgefühlen und bitterer Einsamkeit, von der Last der Verantwortung, der er, handlungsunfähig, wie er war, nicht gerecht werden konnte.
    Seine Angst mochten sie bis zu einem gewissen Grad verstehen - die Angst, gefaßt zu werden, die Angst vor dem Tod. Weniger die Angst vor der Einsamkeit, die Angst, ohne menschliche Gesellschaft allmählich verrückt zu werden. Und auch nicht die ständige Sorge, daß er sie mit seiner Anwesenheit in Gefahr bringen könnte. Wenn sie überhaupt darüber nachdachten, dann mit der Überheblichkeit der Jugend, die sich für unsterblich hält.
    »Aye«, antwortete er auf das Stammeln des jungen Jamie, während er sich wieder zum Spiegel umwandte. »Plagen und Bärte sind des Mannes Los. Dies ist ein Fluch, der Adam traf.«
    »Adam?« Fergus sah ihn ratlos an. Die anderen gaben sich den Anschein, als verstünden sie, was Jamie meinte. Aber von Fergus, dem Franzosen, erwartete auch niemand, daß er alles wußte.
    »Ja, natürlich.« Jamie zog die Oberlippe herunter und schabte sich vorsichtig die Haut unter der Nase. »Zu Anfang, als Gott den Menschen schuf, war Adam ebenso unbehaart wie Eva. Aber kaum waren sie vom Engel mit dem Flammenschwert aus dem Garten Eden vertrieben worden, als Adam aus dem Kinn auch schon juckende Haare sprossen. Und seitdem muß ein Mann sich rasieren.« Mit einem letzten Schwung des Messers beendete Jamie seine Arbeit und verbeugte sich vor seinen beeindruckten Zuhörern.
    Die Ankunft seiner Schwester unterband jede weitere Diskussion. Sie kam mit dem behäbigen Watschelgang einer Hochschwangeren auf ihn zu, das Tablett mit seinem Essen hoch über dem

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