Ferne Ufer
Lulong fiel er Räubern in die Hände, die ihm sein ganzes Geld abnahmen.
»Und danach«, sagte er schlicht, »stahl ich mein Essen, wenn es ging, und hungerte, wenn es nicht ging. Schließlich schlug der Wind des Glücks wieder ein wenig um, und ich traf eine Gruppe von reisenden Heilkundigen, die zu einer Ärztemesse an der Küste unterwegs waren. Ich bot ihnen meine Dienste an, malte Fahnen für ihre Buden und entwarf Etiketten, auf denen die Vorzüge ihrer Heilmittel angepriesen wurden. Dafür nahmen sie mich mit.«
Sobald er die Küste erreicht hatte, hatte er sich zum Hafen aufgemacht und versucht, sich als Seemann zu verdingen - vergebens, denn seine Finger, die so gewandt mit Pinsel und Tusche umzugehen wußten, verstanden nichts von der Kunst der Knoten und Taue. Im Hafen lagen mehrere ausländische Schiffe. Er entschied sich für eins, dessen Besatzung besonders barbarisch aussah, denn es würde ihn wahrscheinlich ans andere Ende der Welt bringen.
Also nutzte er die Gelegenheit und schlüpfte an der Deckwache vorbei in den Lagerraum der Serafina , die nach Edinburgh segelte.
»Sie hatten von jeher vor, das Land zu verlassen?« fragte Fergus interessiert. »Eine verzweifelte Entscheidung, wie mir scheint.«
»Arm des Kaisers sehr lang«, sagte Mr. Willoughby leise auf englisch, ohne die Übersetzung abzuwarten. »Ich gehe ins Exil, oder ich bin tot.«
Seine Zuhörer seufzten bei dem Gedanken an eine so blutrünstige Macht, und eine Zeitlang herrschte Schweigen. Nur das Heulen des Windes in der Takelage war zu hören, als Mr. Willoughby seinen Becher nahm und den letzten Tropfen von seinem Grog leerte.
Er stellte ihn ab, leckte sich die Lippen und legte seine Hand auf Jamies Arm.
»Seltsam…« - Jamie ahmte Mr. Willoughbys nachdenklichen Tonfall genau nach -, »es war meine Freude an den Frauen, die die Zweite Ehefrau in meinen Worten erkannte und liebte. Doch gerade durch das Verlangen, mich - und meine Gedichte - zu besitzen, hätte sie auf immer zerstört, was sie bewunderte.«
Mr. Willoughby lachte leise und nicht ohne Ironie.
»Und das ist noch nicht das Ende der Widersprüche, die seither mein Leben beherrschen. Weil ich mich nicht überwinden konnte, meine Männlichkeit zu opfern, habe ich alles andere verloren - meine Ehre, meinen Lebensunterhalt, mein Land. Damit meine ich nicht nur das Land selbst, die mit edlen Tannen bestandenen Hügel der Mongolei, wo ich meine Sommer verbrachte, die großen Ebenen des Südens und die fischreichen Flüsse, sondern auch den Verlust meiner selbst. Meine Eltern sind entehrt, die Gräber meiner Ahnen verfallen, und vor ihren Tafeln wird kein Weihrauch mehr verbrannt.
Alle Ordnung, alle Schönheit ist verloren. Ich bin an einen Ort gekommen, wo man die goldenen Worte meiner Gedichte als das Gackern eines Huhns ansieht und meine Pinselstriche als seine Fußspuren. Ich selbst bin weniger wert als der gemeinste Bettler, der zur Belustigung der Menge Schlangen verschluckt und sie sich vom Zuschauer wieder aus dem Mund ziehen läßt.«
Wütend starrte Mr. Willoughby seine Zuhörer an, damit klarwurde, wen er meinte.
»Ich bin in ein Land gekommen, in dem Frauen derb und grob sind wie Bären.« Der Chinese wurde immer lauter, während sich Jamie bemühte, gleichmäßig und emotionslos zu sprechen. »Sie sind Geschöpfe ohne Anmut, ohne Bildung, unwissend und übelriechend, und auf ihrem Leib wuchern Haare wie bei einem Hund! Und jene - jene! - verabscheuen mich als gelben Wurm, und nicht einmal die erbärmlichste Hure will bei mir liegen.
Um die Liebe der Frauen willen bin ich an einen Ort gekommen, an dem keine Frau der Liebe würdig ist!« Als Jamie die finsteren Mienen der Seeleute bemerkte, hörte er auf zu übersetzen und legte statt dessen dem Chinesen beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Aye, Mann, ich verstehe. Und ich bin sicher, daß hier kein Mann ist, der in dieser Lage anders gehandelt hätte. Nicht wahr, Leute?« Er bedachte die Seeleute mit einem vielsagenden Blick.
Seine Autorität reichte aus, um den Zuhörern widerstrebende Zustimmung zu entlocken, aber ihre Anteilnahme an den Prüfungen, die Mr. Willoughby durchlitten hatte, war bei dessen beleidigenden Schlußworten vollkommen verflogen. Spitze Bemerkungen über zügellose, undankbare Heiden wurden laut, und Marsali und ich bekamen zahlreiche, übertrieben galante Komplimente, als sich die Männer Richtung Achterdeck zurückzogen.
Dann gingen auch Fergus und Marsali. Fergus
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