Ferne Ufer
letztes Silvester.« Nun, für eine Fünfzehnjährige war ein Jahr eben eine kleine Ewigkeit.
»Da habe ich ihm gestanden, daß ich ihn liebe«, fuhr sie fort. Sie senkte den Blick, und eine leichte Röte überzog ihre Wangen. »Und er hat gesat, daß er mich auch liebt, aber meine Mutter würde mir niemals erlauben, ihn zu heiraten. Und ich sagte, warum nicht, so schlimm ist es doch auch wieder nicht, wenn man Franzose ist, es kann eben nicht jeder Schotte sein, und das mit seiner Hand würde doch bestimmt niemanden stören - schließlich hat Mr. Murray auch ein Holzbein, und ihn kann Mutter gut leiden -, aber dann sagte er, nein, darum ginge es nicht, und dann erzählte er mir von Paris - daß er in einem Bordell geboren wurde, meine ich, und Taschendieb war, bis er Papa getroffen hat.«
Ihre hellblauen Augen blickten ungläubig. »Er hat wohl gedacht, daß es mir etwas ausmacht«, meinte sie verwundert. »Er wollte fortgehen und mich nie wiedersehen…« Sie zuckte die Achseln und warf ihr Haar nach hinten. »Das habe ich ihm bald ausgeredet.« Dann sah sie mich offen an.
»Ich wollte es nur nicht erwähnen für den Fall, daß du es noch nicht weißt. Aber da du es weißt… nein, ich mache mir nicht wegen Fergus Sorgen. Er sagt, er weiß, wie’s geht, und es würde mir nach den ersten paar Malen gut gefallen. Aber Mama hat mir etwas anderes erzählt.«
»Was hat sie denn gesagt?« fragte ich neugierig.
Zwischen ihren hellen Brauen entstand eine Falte. »Na ja«, begann sie zögernd, »es ist weniger das, was sie gesagt hat - obwohl sie durchaus etwas gesagt hat, als ich ihr von Fergus und mir erzählte - daß er mir schreckliche Dinge antun würde, weil er mit Huren gelebt hat und seine Mutter auch eine war. Aber schlimmer war, wie sie sich verhalten hat.«
Sie war nun hochrot im Gesicht, wagte nicht aufzublicken und vergrub ihre Hände in den Falten ihres Rocks.
»Als ich das erstemal geblutet habe, hat sie gesagt, es sei eben der Fluch Evas, damit müßte ich mich abfinden. Und ich fragte,
was ist denn der Fluch Evas? Da las sie mir aus der Bibel vor, wo der heilige Paulus schreibt, daß Frauen elende Sünderinnen wären, wegen Evas Tat, aber sie könnten trotzdem selig werden, wenn sie Kinder gebären.«
»Vom heiligen Paulus habe ich noch nie viel gehalten«, sagte ich, und sie sah mich verblüfft an.
»Aber der steht doch in der Bibel!« entgegnete sie schockiert.
»Da steht noch so einiges«, bemerkte ich trocken. »Kennst du vielleicht die Geschichte von Gideon und seiner Tochter? Oder von dem Kerl, der seine Frau einer Horde von Raufbolden ausgeliefert hat, die sie zu Tode vergewaltigt haben, nur damit er seine eigene Haut retten konnte? Das waren Gottes Auserwählte, wie Paulus. Aber sprich weiter.«
Sie starrte mich mit offenem Mund an, doch dann faßte sie sich wieder und nickte.
»Aye. Mutter sagte, ich sei nun fast alt genug zum Heiraten, und wenn ich erst verheiratet sei, müßte ich daran denken, daß es die Pflicht einer Frau ist zu tun, was ihr Mann verlangt, ob es ihr nun gefällt oder nicht. Da hat sie so traurig ausgesehen, als sie das sagte… Ich dachte, die Pflicht einer Frau, was immer das sein mag, muß schrecklich sein, und nach dem, was der heilige Paulus übers Leiden und Kinderkriegen sagt…«
Sie hielt inne und seufzte. Ich saß ruhig da und wartete. Dann sprach sie zögernd weiter, als müßte sie erst nach den rechten Worten suchen.
»An meinen Vater kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich war erst drei, als ihn die Engländer holten. Aber ich war alt genug, als meine Mutter - Jamie heiratete, da konnte ich sehen, wie es zwischen ihnen stand.« Sie biß sich auf die Lippen; offenbar war sie es nicht gewohnt, Jamie beim Vornamen zu nennen.
»Papa - Jamie, meine ich - ist ein guter Mensch, zu Joan und mir war er immer nett. Aber wenn er seine Hand um die Taille meiner Mutter legte und sie an sich ziehen wollte - da ist sie vor ihm zurückgezuckt. Mir war klar, daß sie Angst hatte«, fuhr Marsali nach kurzem Schweigen fort. »Sie wollte nicht, daß er sie anfaßt. Aber er hat nie etwas getan, weswegen man sich fürchten mußte, zumindest nicht vor unseren Augen - deswegen dachte ich, es muß etwas sein, was er im Bett mit ihr macht, wenn sie allein sind. Joan
und ich haben uns gefragt, was das sein mag. Mama hatte nie blaue Flecken im Gesicht oder an den Armen, und sie humpelte auch nicht - nicht wie Magdalen Wallace, die immer von ihrem Mann geschlagen wird, wenn er
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