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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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die Gabe des Kaisers zurückzuweisen. Und doch - eine schmerzliche Schwäche - ich hatte mich in eine Frau verliebt.«
    Die Zuhörer seufzten mitfühlend, denn die meisten Seeleute waren ausgesprochen romantisch veranlagt, aber Mr. Willoughby hielt inne, zupfte Jamie am Ärmel und sagte etwas zu ihm.
    »Oh, ich habe mich geirrt«, korrigierte sich Jamie. »Er sagt, es war nicht ›eine Frau‹ - sondern nur ›Frau‹ - alle Frauen oder die Frau schlechthin, im allgemeinen. Ist das richtig?« Er sah Mr. Willoughby an.
    Der Chinese nickte zufrieden und lehnte sich zurück. Der Mond war inzwischen aufgegangen und beleuchtete das Gesicht des kleinen Mandarins.
    »Ja«, übersetzte Jamie, »ich dachte viel an Frauen, an ihre Anmut und Schönheit, lieblich wie Lotosblüten, zart wie Seidenpflanzen im Wind. Und an all die Laute aus ihren Kehlen - mal klang es wie das Geplapper von Reisvögeln, mal wie der Gesang von Nachtigallen und manchmal wie das Krächzen von Krähen«,
fügte er mit einem Lächeln hinzu, und auch seine Zuhörer lachten, »aber selbst dann liebte ich sie.
    Ich schrieb alle meine Gedichte an die Frau - manchmal waren sie an eine bestimmte Dame gerichtet, aber meistens an die Frau schlechthin. An den Aprikosenduft ihrer Brüste, den lieblichen Geruch ihres Nabels, wenn sie im Winter erwacht, die Wärme ihres Hügels, der deine Hand füllt wie ein reifer aufgeplatzter Pfirsich.«
    Die meisten Zuhörer lauschten ergriffen.
    »Kein Wunder, daß der kleine Kerl ein hochgeschätzter Poet war«, bemerkte Raeburn anerkennend. »Es ist zwar ziemlich heidnisch, aber mir gefällt’s.«
    »Die rote Kugel auf dem Hut haben Sie sich ehrlich verdient«, meinte Maitland.
    »Da kommt man fast in Versuchung, Chinesisch zu lernen«, warf der Maat ein und musterte Mr. Willoughby mit neu erwachtem Interesse. »Hat er viele von diesen Gedichten?«
    Jamie gebot den Zuhörern Schweigen - inzwischen hatten sich fast alle Seeleute, die nicht im Dienst waren, versammelt - und forderten Mr. Willoughby auf, fortzufahren.
    »Ich floh in der Nacht der Laternen«, sagte der Chinese. »Ein hohes Fest, bei dem sich die Menschen auf den Straßen drängen. Da bestand keine Gefahr, von Wachleuten entdeckt zu werden. Nach Einbruch der Dunkelheit, als sich Prozessionen anschickten, durch die Stadt zu ziehen, legte ich das Gewand eines Reisenden an…«
    »Das ist eine Art Pilgerkleid«, warf Jamie ein, »die Chinesen besuchen die Gräber ihrer Ahnen in der Ferne und tragen dabei weiße Gewänder - die Farbe der Trauer, versteht ihr?«
    »…und verließ mein Haus. Ohne Schwierigkeiten fand ich meinen Weg durch die Menge. Ich trug eine kleine, unauffällige Laterne, die ich mir gekauft hatte und auf der weder mein Name noch mein Wohnort stand. Die Wachleute hämmerten auf ihre Bambustrommeln, die Diener der großen Häuser schlugen Gongs, und auf den Dächern des Palastes wurde ein prächtiges Feuerwerk veranstaltet.«
    Trauer und Heimweh standen Mr. Willoughby ins Gesicht geschrieben, als er seine Erinnerungen wachrief.
    »Eigentlich ein überaus passender Abschied für einen Dichter«,
sagte er. »Die Flucht des Namenlosen, begleitet von gewaltigem Beifall. Als ich zur Garnison der Soldaten am Stadttor gelangte, sah ich mich um und erblickte die zahllosen Dächer des Palasts, auf denen leuchtende Blumen von Rot und Gold erblühten - wie ein Zaubergarten, der mir verboten war.«
    Yi Tien Tschu entkam im Schutz der Nacht ohne Zwischenfall, doch am folgenden Tag wäre er beinahe erwischt worden.
    »Ich hatte meine Fingernägel vergessen.« Er breitete seine kleine Hand aus, an der die Nägel abgebissen waren. »Denn ein Mandarin hat zum Zeichen dafür, daß er nicht mit seinen Händen arbeiten muß, lange Nägel, und meine waren so lang wie ein Fingerglied.«
    Ein Diener des Hauses, in dem er am nächsten Tag einkehrte, sah seine Hände und rannte zur Wache, um es zu melden. Yi Tien Tschu machte sich davon, und schließlich gelang es ihm, seine Verfolger abzuschütteln, indem er in einen Wassergraben sprang.
    »Während ich dort lag, zerstörte ich natürlich meine Nägel.« Er wackelte mit dem kleinen Finger seiner rechten Hand. »Ich war gezwungen, mir diesen Nagel ganz herauszureißen, denn er hatte ein goldenes da zi eingeprägt, das ich nicht entfernen konnte.«
    Er stahl die Kleider eines Bauern, die über einem Busch zum Trocknen aufgehängt waren, und ließ dafür den ausgerissenen Nagel mit dem goldenen Schriftzeichen zurück. Bei

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