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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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höchstens eine Handvoll chinesischer Seeleute gesehen, obwohl es heißt, daß in China sehr viele Leute wohnen. Ist das Land so schön, daß die Bewohner lieber dortbleiben?«
    Der kleine Chinese zögerte zunächst, doch das allgemeine Interesse, das die Frage weckte, schien ihm zu schmeicheln. Er ließ sich noch ein wenig bitten und erklärte sich schließlich bereit zu erzählen, warum er seine Heimat verlassen hatte. Nur eins verlangte er: Jamie sollte für ihn übersetzen, da sein Englisch für einen solchen Bericht nicht ausreichte. Jamie stimmte bereitwillig zu, setzte sich neben Mr. Willoughby und neigte aufmerksam lauschend den Kopf.
    »Ich war ein Mandarin«, begann Mr. Willoughby, und Jamie übersetzte, »ein Schriftgelehrter, bewandert in der Dichtkunst. Ich trug ein seidenes, buntbesticktes Gewand und darüber den blauen Mantel des Gelehrten, der an Brust und Rücken mit dem Zeichen meines Amts verziert war, dem feng-huang - dem Feuervogel.
    Ich wurde in Peking geboren, der Kaiserlichen Stadt, wo der Sohn des Himmels residiert -«
    »So nennen sie ihren Kaiser«, flüsterte mir Fergus zu. »Welch
eine Anmaßung, ihren König mit dem Herrn Jesus gleichzusetzen!«
    »Psst«, zischten mehrere Zuhörer und warfen Fergus empörte Blicke zu. Er drohte Maxwell Gordon mit einer rüden Geste, verstummte jedoch und wandte sich wieder der kleinen Gestalt zu, die vor dem Mast kauerte.
    »Man hatte früh entdeckt, daß ich die Gabe der Dichtkunst besaß, und obwohl ich es zunächst nicht gut verstand, mit Pinsel und Tusche umzugehen, lernte ich schließlich unter großen Mühen, die Zeichen, die ich malte, zum Spiegelbild der Ideen zu machen, die wie Kraniche in meiner Seele tanzten. So wurde Wu-Xien auf mich aufmerksam, ein Mandarin im kaiserlichen Haushalt, der mich bei sich aufnahm und meine Ausbildung überwachte.
    Ich gelangte rasch zu hohem Ansehen und großen Würden, und noch vor meinem sechsundzwanzigsten Geburtstag erhielt ich eine rote Korallenkugel für meinen Hut. Doch dann kam ein übler Wind auf und wehte die Saat des Unheils in meinen Garten. Es mag sein, daß ich von einem Feind verflucht wurde oder daß ich es in meinem Hochmut versäumt hatte, die rechten Opfer darzubringen - denn gewiß fehlte es mir nicht an Ehrerbietung für meine Ahnen. Jahr für Jahr besuchte ich das Grab meiner Familie, und stets brannte Weihrauch in der Halle der Ahnen…«
    »Wenn seine Gedichte immer so langatmig waren, hat der Sohn des Himmels zweifellos die Geduld verloren und ihn in den Fluß geworfen«, murmelte Fergus boshaft.
    »…aber was auch immer der Grund gewesen sein mag«, übersetzte Jamie. »Wan-Mei, die zweite Ehefrau des Kaisers, bekam meine Gedichte zu Gesicht. Sie besaß große Macht, denn sie hatte nicht weniger als vier Söhne geboren, und als sie forderte, ich möge in ihren Haushalt aufgenommen werden, wurde ihr diese Bitte sofort gewährt.«
    »Und was war daran so schlimm?« fragte Gordon, der sich interessiert nach vorne beugte. »Zweifellos eine Gelegenheit, in der Welt voranzukommen?«
    Offenbar verstand Mr. Willoughby die Frage, denn er nickte Gordon zu, als er fortfuhr, und Jamie nahm den Faden wieder auf.
    »Oh, die Ehre war unschätzbar. Ich hätte ein großes Haus innerhalb der Palastmauern erhalten und Soldaten als Wachen für
meine Sänfte, ein dreifacher Schirm wäre als Symbol meines Amtes vor mir her getragen worden, und vielleicht hätte sogar eine Pfauenfeder meinen Hut geziert. Mein Name wäre in goldenen Schriftzeichen in das Buch der Verdienste eingetragen worden.«
    Der kleine Chinese hielt inne und kratzte sich am Kopf.
    »Es gibt jedoch eine Bedingung für den Dienst im kaiserlichen Haushalt: Alle Diener der kaiserlichen Ehefrauen müssen Eunuchen sein.«
    Es folgte ein entsetztes Keuchen seitens der Zuhörerschaft sowie aufgeregte Kommentare aus denen ich vor allem Bemerkungen wie »Verdammte Heiden!« und »Gelbe Bastarde!« heraushörte.
    »Was ist ein Eunuch?« fragte Marsali verwirrt.
    »Nichts, um das du dir jemals Gedanken zu machen bräuchtest, chérie «, versicherte ihr Fergus und legte schützend den Arm um ihre Schulter. »Also haben Sie sich aus dem Staub gemacht, mon ami ?« wandte er sich voller Mitgefühl an Mr. Willoughby. »Ohne Zweifel hätte ich dasselbe getan!«
    Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Der Beifall schien Mr. Willoughby zu ermutigen. Er nickte seinen Zuhörern bedächtig zu und nahm seinen Bericht wieder auf.
    »Es war überaus ehrlos von mir,

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