Ferne Ufer
Zwischendecks mit kochendem Meerwasser überwachte, hing ich meinen Gedanken nach.
Ich ließ mir durch den Kopf gehen, welche Maßnahmen ergriffen
werden mußten, um die Seuche zu bekämpfen. Zwei der Männer, die schon zu entkräftet waren, waren gestorben, als man sie aus dem Zwischendeck geholt hatte. Sie lagen nun hinten auf dem Achterdeck, wo der Segelmacher sie für die Beerdigung mit emsigen Stichen in ihre Hängematten einnähte - nebst zwei Kanonenkugeln zu ihren Füßen. Vier weitere würden die Nacht nicht überleben. Die übrigen Patienten hatten teils ausgezeichnete, teils recht schlechte Überlebenschancen. Mit etwas Glück und viel Arbeit würde ich die meisten von ihnen retten können. Aber wie viele neue Fälle kamen noch auf uns zu?
Auf meinen Befehl hin wurden riesige Kessel mit Wasser in der Kombüse zum Kochen aufgesetzt: Meerwasser zum Putzen, Süßwasser zum Trinken. Mir fielen weitere Punkte für die Liste ein, die ich in Gedanken führte. Ich mußte Mrs. Johansen aufsuchen, die sich um die Ziegen kümmerte, und dafür sorgen, daß auch die Milch sterilisiert wurde.
Anschließend wollte ich alle, die in der Kombüse arbeiteten, nach ihren Aufgaben befragen. Wenn ich den Krankheitsüberträger aufspüren und isolieren konnte, würde das schon viel zur Eindämmung der Seuche beitragen.
Zu Mr. Overholts Entsetzen hatte ich den gesamten Alkoholvorrat ins Schiffslazarett bringen lassen. Man konnte ihn zwar verwenden, wie er war, aber besser wäre es, reinen Alkohol zur Verfügung zu haben. Ich mußte mit dem Proviantmeister klären, ob es möglich war, den Rum zu destillieren.
Als nächstes galt es, die Hängematten auszukochen und zu trocknen, bevor die gesunden Matrosen darin schliefen. Das mußte schnell geschehen, noch vor dem nächsten Schichtwechsel. Elias sollte einen Trupp Schwabberer dafür abkommandieren - die große Wäsche fiel wahrscheinlich in ihren Aufgabenbereich.
Daneben machte ich mir nach wie vor Gedanken um den mysteriösen Tompkins und die Mitteilungen, die er dem Kapitän hatte machen wollen. Was immer er gesagt hatte, es hatte nicht dazu geführt, daß der Kurs geändert wurde, um zur Artemis zurückzukehren. Entweder hatte Kapitän Leonard die Aussage des Mannes nicht ernst genommen oder er hatte es einfach zu eilig, nach Jamaika zu kommen, als daß er sich durch irgend etwas hätte aufhalten lassen.
Ich blieb eine Weile an der Reling stehen und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich strich mir die Haare aus der Stirn, hielt mein Gesicht in den frischen Wind und ließ ihn den Gestank der Seuche wegblasen, übelriechende Dampfwolken stiegen aus der Luke neben mir auf. Wenn die Matrosen mit dem Scheuern fertig waren, würde es dort unten zwar angenehmer sein, aber von frischer Luft konnte man noch nicht reden.
Ich blickte aufs Meer hinaus und gab mich der Hoffnung hin, daß ein Segel am Horizont auftauchen möge, aber wir hatten die Artemis - und Jamie - weit hinter uns gelassen.
Rasch unterdrückte ich das Gefühl der Einsamkeit und Panik, das in mir aufstieg. Ich mußte mit Kapitän Leonard sprechen. Bei mindestens zwei der Fragen, die mich beschäftigten, konnte er mir weiterhelfen: wo die Ursache des Typhus zu suchen sei und was der unbekannte Mr. Tompkins mit Jamie zu tun hatte. Aber im Augenblick gab es Dringlicheres.
»Elias!« rief ich, denn ich wußte, daß er sich in Hörweite befand. »Bitte bringen Sie mich zu Mrs. Johansen und den Ziegen.«
47
Die Seuche
Zwei Tage später hatte ich immer noch nicht mit Kapitän Leonard gesprochen. Zweimal war ich vor seiner Kajüte gestanden, aber der junge Kapitän hatte anderweitig zu tun - er bestimmte unsere Position, hieß es, oder studierte die Karten oder war mit anderen rätselhaften nautischen Angelegenheiten beschäftigt.
Mr. Overholt hatte sich angewöhnt, mir und meinen maßlosen Forderungen aus dem Weg zu gehen. Er hängte sich eine Parfümkugel mit Salbei und Ysop gegen die Ansteckungsgefahr um den Hals und schloß sich in seiner Kajüte ein. Die gesunden Matrosen, die die Decks schrubben und die Kranken transportieren sollten, taten diese zunächst widerwillig und zweifelnd. Ich aber schalt und schikanierte sie, stampfte mit dem Fuß auf, brüllte herum und durchbohrte sie mit Blicken, bis sie allmählich in Fahrt kamen. Ich fühlte mich kaum noch wie eine Ärztin, eher wie ein Schäferhund, der knurrend und bellend seiner Herde auf die Sprünge hilft, und nach all meinen Anstrengungen war ich nun
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