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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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in die Hände gelegt worden - und nicht einfach eines Schiffes, sondern eines englischen Kriegsschiffes mit einer Seuche an Bord, die ein Viertel seiner Mannschaft und praktisch das gesamte Kommando niedergestreckt hatte. Ich spürte, wie meine Angst und der Zorn, die seit Tagen an mir nagten, allmählich verebbten, denn mir wurde klar, daß die Willkür, mit der mich der Kapitän entführt hatte, weder auf Arroganz noch auf Dummheit beruhte, sondern auf schierer Verzweiflung.
    Er brauchte auf jeden Fall Hilfe, und diese Hilfe war ich. Ich
holte tief Luft und stellte mir die Unordnung vor, die ich im Schiffslazarett hinterlassen hatte. Es war einzig und allein meine Sache, hier mein Bestes zu tun.
    Kapitän Leonard hatte das offene Logbuch mit dem halbfertigen Eintrag auf seinem Schreibtisch liegenlassen. Auf der Seite war ein kleiner feuchter Felck. Er hatte im Schlaf ein wenig gesabbert. In einem Anfall von wütendem Mitleid schlug ich die Seite um, damit ich diesen weiteren Hinweis auf seine Verletzlichkeit nicht länger vor Augen hatte.
    Auf der vorhergehenden Seite stach mir jedoch ein Wort in die Augen. Ich hielt inne, und es lief mir kalt den Rücken hinunter, denn plötzlich fiel mir wieder ein, daß mich der Kapitän, als er aus dem Schlaf aufgefahren war, mit »Mrs. Fra-« angesprochen hatte, bevor er seinen Fehler bemerkt hatte. Und der Name auf der Seite vor mir lautete »Fraser«. Der Kapitän wußte, wer wir waren.
    Hastig stand ich auf, schloß die Tür und schob den Riegel vor. So wäre ich gewarnt, wenn jemand kam. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch des Kapitäns, drückte die Seiten flach und las.
    Ich blätterte zurück, bis ich den Eintrag über die Begegnung mit der Artemis fand. Kapitän Leonards Aufzeichnungen unterschieden sich von denen seines Vorgängers und waren in der Regel ziemlich kurz - was mich nicht überraschte, wenn man bedachte, daß er nun wirklich alle Hände voll zu tun hatte. Die meisten Einträge umfaßten nur die üblichen Navigationsdaten sowie die Namen der Männer, die seit dem Vortag verstorben waren. Das Treffen mit der Artemis und meine Anwesenheit hatte er jedoch festgehalten.
    3. Februar 1767. Gegen acht Glasen die Artemis getroffen, eine kleine zweimastige Brigg unter französischer Flagge. Nach der Begrüßung um die Hilfe ihres Schiffsarztes, C. Malcolm, gebeten, der an Bord genommen wurde und bei uns bleibt, um bei der Pflege der Kranken zu helfen.
    Der Schiffsarzt C. Malcolm, ach ja? Kein Wort davon, daß ich eine Frau bin - vielleicht hielt er es für unwichtig oder wollte vermeiden, daß man Erkundigungen einzog, ob sein Verhalten den guten Sitten entsprochen habe. Ich las den nächsten Eintrag.

    4. Februar 1767. Den heutigen Tag habe ich vom Vollmatrosen Harry Tompkins die Mitteilung erhalten, daß der Frachtaufseher der Brigg Artemis ihm als Verbrecher unter dem Namen James Fraser, alias Jamie Roy, alias Alexander Malcolm bekannt sei. Besagter Fraser ist ein Aufwiegler und ein notorischer Schmuggler, auf dessen Ergreifung von der Zollbehörde des Königs ein beträchtlicher Preis ausgesetzt ist. Mitteilung von Tompkins erhalten, nachdem wir uns von der Artemis getrennt hatten; die Artemis zu verfolgen erschien mir nicht ratsam, da wir wegen unseres Passagiers den Befehl haben, Jamaika mit höchster Eile anzusteuern. Da ich jedoch versprochen habe, den Schiffsarzt der Artemis dortselbst wieder zu übergeben, kann Fraser bei dieser Gelegenheit festgenommen werden.
    Zwei Mann an der Seuche gestorben - wie mir der Schiffsarzt der Artemis mitteilt, handelt es sich um Typhus. Jno. Jaspers, Vollmatrose, E. Harty Kepple, Kochsmaat, E.
    Das war alles. Die Eintragung des folgenden Tages beschränkte sich auf Navigation und Vermerke über den Tod von weiteren sechs Männern, hinter deren Namen ebenfalls E. stand. Ich fragte mich, was das heißen sollte, war aber zu besorgt, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Da hörte ich Schritte auf dem Gang, und es gelang mir gerade noch, die Tür zu entriegeln, bevor der Proviantmeister anklopfte. Mr. Overholts Entschuldigungen hörte ich kaum, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mir auf diese neuen Enthüllungen einen Reim zu machen.
    Wer in Teufels Namen war dieser Tompkins? Auf jeden Fall hatte ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen oder von ihm gehört. Und doch wußte er offenbar viel zuviel über Jamies gesetzwidrige Aktivitäten. Daraus folgten zwei Fragen. Wie kam ein englischer Seemann an diese

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