Ferne Ufer
ziemlich heiser.
Aber es half: Hoffnung und Entschlossenheit machten sich breit. Heute wurden vier Todesfälle und zehn Neuerkrankungen gemeldet, aber das verzweifelte Stöhnen aus dem Zwischendeck war nahezu verstummt, und auf den Gesichtern der Gesunden zeigte sich die Erleichterung, die sich einstellt, wenn man etwas tut - egal was. Den Ursprung der Krankheit hatte ich bisher noch nicht ausfindig gemacht. Wenn mir dies gelingen würde und ich eine weitere Ausbreitung der Seuche verhindern konnte, so bestand die Möglichkeit, innerhalb einer Woche eine Wende herbeizuführen, so daß die Porpoise noch genügend Matrosen hatte, um weiterzusegeln.
Inzwischen hatte ich herausgefunden, daß zwei der überlebenden
Matrosen aus einem Kreisgefängnis zwangsrekrutiert worden waren, wo sie wegen Schwarzbrennerei einsaßen. Ich spannte sie sofort für meine Zwecke ein und beauftragte sie damit, einen Destillierapparat zu bauen, in dem - zum Entsetzen der Mannschaft - der halbe Rumvorrat für Desinfektionszwecke zu reinem Alkohol destilliert wurde.
Neben dem Eingang zum Schiffslazarett und an der Tür zur Kombüse postierte ich je einen jungen Seekadetten, jeden mit einer Schüssel purem Alkohol bewaffnet. Sie erhielten Anweisung, niemanden durchzulassen, der nicht zuvor seine Hände in den Alkohol tunkte. Zur Unterstützung stellte ich ihnen einen Marinesoldaten mit geladenem Gewehr zur Seite. Ihm oblag die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sich niemand am Inhalt des Eimers vergriff, in den der gebrauchte Alkohol gekippt wurde.
In Mrs. Johansen, der Frau des Kanoniers, fand ich eine unerwartete Verbündete. Sie war eine intelligente Frau in den Dreißigern und hatte - obwohl sie nur gebrochen Englisch und ich gar kein Schwedisch sprach - bald begriffen, was ich erreichen wollte. Sie unterstützte mich tatkräftig.
Annekje Johansen übernahm das Abkochen der Ziegenmilch, zerstampfte geduldig den harten Schiffszwieback - nicht ohne zuvor die Getreidekäfer zu entfernen -, vermischte ihn mit Milch und fütterte eigenhändig die kräftigsten der kranken Matrosen mit dem Brei.
Ihr Gatte, der Kanonier, war ebenfalls erkrankt, gehörte aber glücklicherweise zu den leichteren Fällen und würde sich, wie ich hoffte, dank seiner kräftigen Konstitution und der aufopfernden Pflege seiner Frau bald erholen.
»Madam, Ruthven sagt, daß wieder jemand von dem reinen Alkohol getrunken hat.« Elias Pound tauchte neben mir auf. Er sah ziemlich erschöpft aus.
Ich stieß einen ziemlich üblen Fluch aus, und er riß erstaunt die braunen Augen auf.
»Tut mir leid.« Ich strich mir die Haare aus der Stirn. »Ich wollte Ihre empfindlichen Ohren nicht beleidigen, Elias.«
»Ich habe dergleichen schon gehört, Madam«, versicherte er mir. »Nur noch nicht von einer Dame.«
»Ich bin keine Dame, Elias«, erwiderte ich müde. »Ich bin eine
Ärztin. Schicken Sie jemanden los, der den Übeltäter sucht. Wahrscheinlich liegt er bewußtlos in einer Ecke.« Er nickte und wandte sich zum Gehen.
»Ich schau’ mal im Kabelgatt nach«, sagte er. »Da verkriechen sie sich meistens, wenn sie besoffen sind.«
Das war der vierte innerhalb von drei Tagen. Trotz der Soldaten, die über den Destillierapparat und den reinen Alkohol wachten, gelang es den trunksüchtigen Matrosen, die mit der Hälfte ihrer täglichen Grogration auskommen mußten, irgendwie immer wieder, an den reinen Alkohol heranzukommen, den ich zum Desinfizieren benötigte.
»Meine Güte, Mrs. Malcolm«, hatte der Proviantmeister gesagt und seinen kahlen Kopf geschüttelt, als ich ihm das Problem schilderte. »Seeleute trinken, was sie in die Finger kriegen! Verdorbenen Pflaumenschnaps, in Gummistiefeln zermatschte und vergorene Pfirsiche - ich habe sogar mal gehört, daß ein Matrose altes Verbandszeug vom Schiffsarzt gestohlen und eingeweicht hat, in der Hoffnung, daß noch eine Spur Alkohol drinsteckt. Nein, Madam, auch wenn man ihnen sagt, daß sie an dem Zeug sterben, lassen sie sich nicht davon abhalten, es zu trinken.«
Und sie starben tatsächlich daran. Einer der vier Männer, die davon getrunken hatten, war schon tot. Zwei weitere lagen in einem abgetrennten Abteil des Schiffslazaretts im Koma. Wenn sie überlebten, würden sie wahrscheinlich einen Hirnschaden davontragen.
»Und das, wo eine Reise auf einem schwimmenden Höllenpfuhl wie diesem hier sowieso schon einen Hirnschaden hinterläßt«, sagte ich zu einer Seeschwalbe, die sich neben mir auf der Reling
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