Ferne Ufer
Informationen - und wer wußte noch davon?
»…die Grogration noch weiter beschneiden, damit ich Ihnen noch ein Faß Rum geben kann«, meinte Mr. Overholt skeptisch. »Das wird den Matrosen nicht gefallen, aber wir könnten es schaffen. Es sind jetzt nur noch zwei Wochen bis Jamaika.«
»Ob es den Leuten gefällt oder nicht, ich brauche den Alkohol dringender als sie ihren Grog«, entgegnete ich schroff. »Wenn sie
sich zu sehr beklagen, können Sie ihnen sagen, daß es vielleicht keiner von ihnen bis nach Jamaika schafft, wenn ich den Rum nicht bekomme.«
Seufzend wischte sich Mr. Overholt kleine Schweißperlen von der Stirn.
»Das werde ich ihnen sagen«, meinte er, zu ermattet, um noch Widerstand zu leisten.
»Gut. Ach, Mr. Overholt?« Er wandte sich fragend zu mir um. »Was bedeutet eigentlich die Abkürzung E.? Ich habe gesehen, daß der Kapitän sie in seinem Logbuch verwendet.«
Ein humorvolles Funkeln belebte die eingesunkenen Augen des Proviantmeisters.
»Exitus, Madam«, erwiderte er. »Für die meisten der einzige Weg, unbehelligt von der Königlichen Marine Abschied zu nehmen.«
Während ich die Waschung der Kranken und die Verabreichung von gesüßtem Wasser und abgekochter Milch überwachte, beschäftigte mich wieder das Problem des geheimnisvollen Tompkins.
Wie er aussah, wußte ich nicht; ich hatte nur seine Stimme gehört. Er konnte einer aus der gesichtslosen Horde sein, die hoch oben in der Takelage herumkletterte, wenn ich an Deck kam, um frische Luft zu schnappen, oder einer der anonymen Matrosen, die sich nur noch im Laufschritt auf den Decks bewegten und versuchten, die Arbeit von drei Männern zu bewältigen.
Wenn er sich ansteckte, würde ich ihn natürlich kennenlernen; ich kannte die Namen all meiner Patienten im Schiffslazarett. Aber ich konnte nicht einfach abwarten und mich der makabren Hoffnung hingeben, daß Tompkins sich mit Typhus ansteckte. Schließlich beschloß ich, einfach zu fragen. Wahrscheinlich wußte der Mann ohnehin, wer ich war. Selbst wenn er herausfand, daß ich mich nach ihm erkundigt hatte, würde das den Schaden kaum vergrößern.
Natürlich wandte ich mich zuerst an Elias. Ich wartete mit meiner Frage aber bis zum Abend, weil ich offte, daß die Erschöpfung seine angeborene Neugier dämpfen würde.
»Tompkins?« Der Junge runzelte die Stirn. »Ach ja, Madam, das ist einer von den Vorderdeckmatrosen.«
»Wissen Sie vielleicht, wo er an Bord gekommen ist?« Mir fiel keine gute Ausrede ein, warum ich mich plötzlich für einen Mann interessierte, den ich noch nie gesehen hatte, aber glücklicherweise war Elias zu müde, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
»Ach«, meinte er geistesabwesend, »in Spithead, glaube ich. Oder - nein! Jetzt erinnere ich mich. Es war in Edinburgh.« Er unterdrückte ein Gähnen. »Edingburgh, genau. Ich wüßte es nicht mehr, wenn er nicht einer von den Zwangsrekrutierten wäre, und er hat ein Mordstheater veranstaltet, behauptet, wir dürften ihn nicht mitnehmen, weil er Zollbeamter sei und als solcher unter dem Schutz von Sir Percival stünde!« Das Gähnen ließ sich nun nicht mehr unterdrücken, und er riß den Mund weit auf. »Aber er konnte nichts Schriftliches von Sir Percival vorweisen«, schloß er blinzelnd, »also war nichts zu machen.«
»Ein Zollbeamter war er?« Das erklärte einiges.
»Mhm. Ja, Madam, meine ich.« Elias bemühte sich mannhaft, wach zu bleiben, aber er fixierte die schwankende Laterne am anderen Ende des Lazaretts mit glasigem Blick.
»Sie gehen jetzt ins Bett, Elias«, riet ich, mich seiner erbarmend. »Ich werde hier allein fertig.«
Hastig schüttelte er den Kopf, um seine Müdigkeit zu vertreiben.
»Aber nein, Madam! Ich bin kein bißchen müde!« Unbeholfen griff er nach der Flasche und dem Becher in meiner Hand. »Geben Sie mir das, Madam, und legen Sie sich selbst hin.« Er ließ sich nicht überreden, sondern bestand hartnäckig darauf, mir beim Verteilen der letzten Runde Wasser zu helfen, bevor er in seine Koje sank.
Nach getaner Arbeit war ich ebenso müde wie Elias, aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Ich lag in der Kajüte des verstorbenen Schiffsarztes, starrte auf den Balken an der schattenhaften Decke, lauschte dem Ächzen und Knarren des Schiffes und überlegte.
Also arbeitete Tompkins für Sir Percival. Und Sir Percival wußte auf jeden Fall, daß Jamie Schmuggler war. Aber steckte noch mehr hinter der Geschichte? Tompkins kannte Jamie vom Sehen. Wie
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