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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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    »Mama!« Mit einem verzweifelten Aufschrei wand sich der kleine Jamie an der Türschwelle aus dem Griff eines Soldaten und stürzte zu seiner Mutter. »Mama, ist das Kind tot? Nein! Nein!« Schluchzend sank er auf die Knie und vergrub den Kopf im Bettzeug.
    Als wollte er die Worte seines Bruders Lügen strafen, gab der kleine Ian allerlei Lebenszeichen von sich. Er trat seinem Onkel mit erstaunlicher Kraft in die Rippen und stieß leise Grunztöne aus, die glücklicherweise von dem Lärm draußen übertönt wurden.
    Jenny bemühte sich, ihren Ältesten zu trösten, Mrs. Innes versuchte, ihn auf die Beine zu ziehen, obwohl er sich am Arm seiner Mutter festgeklammert hatte, der Hauptmann unternahm große Anstrengungen, sich über dem Klagen und Jammern des jungen Jamie Gehör zu verschaffen, und zu allem Überfluß ertönten im ganzen Haus das Getrampel und Geschrei der Soldaten.
    Jamie nahm an, daß sich der Hauptmann gerade nach dem Verbleib des Kindes erkundigte. Er wiegte den Kleinen in seinen Armen, damit er nicht zu schreien begann. Dann legte er die Hand an den Dolch, eine überflüssige Geste, denn er wußte ja nicht einmal, ob ihm noch die Zeit bliebe, sich die Kehle durchzuschneiden - und ob damit besonders viel gewonnen wäre.
    Mit einem wütenden Laut gab Klein Ian zu verstehen, daß er im Augenblick nicht gewiegt zu werden wünsche. Jamie, der das Haus schon in Flammen und seine Bewohner niedergemetzelt sah, kam sein Protest ebenso laut vor wie das Klagen seines ältesten Neffen.

    »Das ist Ihre Schuld!« Jennys Ältester war auf die Beine gesprungen. Mit wutverzerrtem Gesicht ging er auf den Hauptmann los. »Sie haben meinen Bruder umgebracht, Sie englischer Schuft!«
    Der Hauptmann, offensichtlich überrascht von dieser Attacke, wich einen Schritt zurück und blinzelte den Jungen an. »Nein, nein! Du irrst dich. Ich habe nur -«
    »Sie Schweinehund! A mhic an diabhoil! «Außer sich vor Wut stapfte der Junge auf den Hauptmann zu und schleuderte ihm jedes englische und gälische Schimpfwort an den Kopf, das er kannte.
    »Eeeeh«, sagte das Baby an Jamies Ohr. »Eeh! Eeh!« Es klang ganz so, als wollte es gleich losbrüllen, und in seiner Verzweiflung ließ Jamie den Dolch los und steckte seinen Daumen in den weichen, feuchten Babymund. Die zahnlosen Kiefer saugten sich daran mit einer solchen Kraft fest, daß er fast aufgeschrien hätte.
    »Raus hier! Raus hier, oder ich bringe Sie um!« brüllte der junge Jamie den Hauptmann an. Hilflos blickte der englische Soldat zum Bett, als wollte er Jenny bitten, ihren wutschnaubenden Sprößling zurückzurufen. Aber die lag mit wachsbleichem Gesicht da und hatte die Augen geschlossen.
    »Dann warte ich eben unten bei meinen Männern«, sagte der Hauptmann mit dem Rest Würde, der ihm noch verblieben war, und zog hastig die Tür hinter sich zu. So plötzlich seines Feindes beraubt, ließ sich der kleine Jamie auf den Boden fallen und brach in hemmungsloses Schluchzen aus.
    Durch seinen Spalt sah Jamie, wie Mrs. Innes den Mund zu einer Frage öffnete. Jenny erhob sich vom Krankenlager wie einst Lazarus und hielt den Finger an die Lippen. Währenddessen saugte Baby Ian kräftig an Jamies Daumen. Als sein Bemühen kein Ergebnis zeitigte, wurde es allmählich unruhig.
    Abwartend blieb Jenny auf dem Bettrand sitzen. Noch immer durchstöberten die Soldaten lärmend das Haus. Obwohl Jenny vor Schwäche zitterte, winkte sie Jamie in seinem Versteck zu.
    Jamie holte tief Luft und wappnete sich. Aber er mußte es wagen, denn der Kleine war nicht mehr zu halten. Schweißnaß vor Angst stolperte er aus dem Schrank und drückte Jenny das Baby in die Arme. Mit einer einzigen Bewegung machte sie den Busen frei und zog das kleine Bündel an die Brust. Auf der Stelle wurden die Unmutsäußerungen von einem gierigen Schmatzen abgelöst. Jamie
ließ sich so plötzlich auf den Boden sinken, als hätte ihm jemand ein Schwert in die Kniekehlen gestoßen.
    Als sich der Schrank öffnete, fuhr der junge Jamie auf. Er lehnte sich an die Tür und blickte fassungslos von seiner Mutter zu seinem Onkel. Mrs. Innes kniete sich neben ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr, doch auf dem tränenverschmierten Gesicht zeigte sich keine Spur von Verständnis.
    Aber schon kündeten im Hof Rufe und Hufgetrappel davon, daß die Soldaten aufbrechen wollten. Der kleine Ian lag mittlerweile ruhig im Arm seiner Mutter und schnarchte leise. Jamie huschte neben das Fenster und sah zu, wie die Soldaten

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