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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hochgewachsene, dunkle Männergestalt mit einem weißen Bündel unter dem grimmigen Gesicht.
    »Sie war schwanger«, sagte er schließlich leise zu seinem Spiegelbild. »Damals, als ich - sie verloren habe.« Wie sollte er es sonst ausdrücken? Er konnte seiner Schwester nicht erzählen, wo Claire war - wo sie hoffentlich war. Daß er an keine andere Frau denken konnte, weil er hoffte, daß sie - obwohl er sie für immer verloren hatte - am Leben war.
    Jenny schwieg. Schließlich fragte sie: »Bist du deshalb heute zu mir gekommen?«
    Er seufzte, drehte sich zu ihr um und lehnte den Kopf an die kühle Scheibe. Seine Schwester hatte sich wieder hingelegt. Die dunklen Haare auf dem Kissen umrahmten ihr Gesicht wie ein Heiligenschein, und die Augen, mit denen sie ihn musterte, waren sanft.
    »Aye, vielleicht. Da ich meiner Frau schon nicht helfen konnte, wollte ich wenigstens dir beistehen. Nicht, daß ich von großem Nutzen war«, fügte er hinzu. »Dir konnte ich ebensowenig helfen wie damals ihr.«
    Jenny streckte den Arm nach ihm aus. Ihr Gesicht war voller Kummer. »Jamie, mo chridhe !« seufzte sie. Und dann kam von unten ein Poltern, Krachen und lautes Gebrüll. Entsetzt riß Jenny die Augen auf.
    »Heilige Jungfrau Maria!« rief sie. »Die Engländer!«
    »Herr im Himmel!« Es war sowohl ein Stoßgebet als auch ein Ausdruck der Überraschung. In aller Eile schätzte Jamie die Entfernung vom Bett zum Fenster ab, erwog, ob er flüchten oder sich verstecken sollte. Auf der Treppe war schon Stiefelgetrappel zu hören.
    »In den Schrank, Jamie«, zischte Jenny. Ohne Zögern trat er in den Wandschrank und zog die Tür hinter sich zu.
    Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgestoßen, und ein Rotrock mit Dreispitz und gezogenem Schwert stand auf der
Schwelle. Der Dragonerhauptmann ließ den Blick durch den Raum schweifen und heftete ihn schließlich auf die zierliche Person im Bett.
    »Mrs. Murray?« fragte er.
    Jenny richtete sich mühsam auf.
    »Ja. Und was, in drei Teufels Namen, wollen Sie in meinem Haus?« herrschte sie ihn an. Ihr Gesicht war blaß und von einem Schweißfilm überzogen, ihre Hände zitterten, aber sie reckte das Kinn vor und funkelte den Mann wütend an. »Machen Sie, daß Sie rauskommen!«
    Ohne auf ihre Worte zu achten, durchquerte der Hauptmann den Raum und trat ans Fenster. »Einer meiner Späher hat in der Umgebung dieses Hauses einen Schuß gehört. Wo sind Ihre Männer?«
    »Wir haben hier keine. Sie haben meinen Mann doch schon mitgenommen - und mein ältester Sohn ist gerade erst zehn.« Von Rabbie und Fergus sprach sie nicht; ein Junge in ihrem Alter wurde bereits als Mann be- oder auch mißhandelt. Mit etwas Glück hatten sie sich noch aus dem Staub machen können, als die Dragoner auftauchten.
    Aber der Hauptmann, ein Mann mittleren Alters, hatte schon so allerhand erlebt und war daher nicht sonderlich gutgläubig.
    »Waffenbesitz ist im Hochland ein schweres Verbrechen«, erklärte er und wandte sich zu dem Soldaten um, der nach ihm eingetreten war. »Durchsuchen Sie das Haus, Jenkins!«
    Er mußte schreien, um seinen Befehl zu erteilen, denn im Treppenhaus wurden Stimmen laut. Als sich Jenkins zur Tür umdrehte, schoß Mrs. Innes, die Hebamme, an ihm vorbei.
    »Lassen Sie die arme Frau in Frieden!« schrie sie den Hauptmann an und stemmte die Hände in die Hüften. Obwohl ihre Stimme zitterte und sich die Haare aus ihrem Knoten gelöst hatten, wich und wankte sie nicht. »Scheren Sie sich raus! Lassen Sie die Frau in Ruhe.«
    »Aber ich habe Ihrer Herrin doch gar nichts getan«, beschwerte sich der Hauptmann, der unsicher geworden war und Mrs. Innes offensichtlich für eins der Hausmädchen hielt. »Ich wollte doch nur…«
    »Und dabei ist seit der Geburt noch keine Stunde vergangen. Finden Sie das anständig, daß Sie hier hereinplatzen und -«

    »Geburt?« Die Stimme des Hauptmanns war schärfer geworden, und mit neuer Wachsamkeit sah er von der Hebamme zum Bett. »Sie haben ein Kind bekommen, Mrs. Murray? Wo ist es denn?«
    Das fragliche Kind begann, sich in seinen Decken zu rühren, weil es von seinem schreckensstarren Onkel zu fest an die Brust gepreßt wurde. Aus seinem Versteck konnte Jamie sehen, wie das Gesicht seiner Schwester kreidebleich wurde und wie sie die Lippen zusammenpreßte.
    »Das Kind ist tot«, erklärte sie.
    Entsetzt riß die Hebamme den Mund auf, doch zum Glück richtete der Hauptmann seine ganze Aufmerksamkeit auf Jenny.
    »Oh!« sagte er. »War es

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