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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Pfoten nicht -«, setzte er an. Aber da unterbrach ihn ein Schrei vom jungen Jamie, der bis dahin stumm und gespannt dem Gespräch gelauscht hatte.
    »Was gibt’s?« Jamie wirbelte herum. In einem Reflex fuhr seine
Hand zur Pistole, die er immer bei sich trug, wenn er die Höhle verließ. Aber es war nicht die englische Patrouille, die er befürchtet hatte.
    »Zum Teufel, was ist los?« Aber als er in die angewiesene Richtung blickte, sah er es selbst. Drei kleine schwarze Punkte, die über dem Kartoffelacker ihre Kreise zogen.
    »Krähen«, sagte er leise und spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Wenn diese Vögel, Symbole des Kriegs und des Gemetzels, bei einer Geburt über das Haus flogen, war das ein böses Omen. Eine der üblen Kreaturen ließ sich sogar auf dem Dach nieder.
    Ohne nachzudenken, zog Jamie die Pistole und zielte sorgfältig. Es war nicht gerade einfach, auf die große Entfernung von der Stalltür bis zum Dach des Haupthauses zu treffen, aber…
    Er feuerte, und die Krähe zerbarst in einer Wolke schwarzer Federn. Ihre beiden Freundinnen stoben aufgeschreckt in die Lüfte, und gleich darauf hörte man nur noch ihr heiseres Krächzen.
    »Mon Dieu!« staunte Fergus. »C’est bien, çà!«
    »Aye, ein guter Schuß, Sir!« Rabbie, der noch immer mit rotem Gesicht nach Luft schnappte, hatte sich rechtzeitig aufgerappelt, um die Ereignisse verfolgen zu können. Jetzt wies er auf das Haus. »Da, Sir! Ist das nicht die Hebamme?«
    Er hatte recht. Mrs. Innes steckte im ersten Stock den Kopf aus dem Fenster und spähte hinunter in den Hof. Wahrscheinlich hatte sie den Schuß gehört und befürchtete Schwierigkeiten. Jamie trat ins Freie und winkte ihr beruhigend zu.
    »Alles in Ordnung«, rief er. »Nur ein kleines Mißgeschick.« Die Krähen erwähnte er lieber nicht, denn sonst würde die Hebamme womöglich noch Jenny davon erzählen.
    »Kommen Sie rauf«, rief sie, ohne auf seine Worte zu achten. »Das Kind ist da. Ihre Schwester will Sie sprechen.«
     
    Jenny blinzelte ihn erschöpft an.
    »Dann bist du also doch gekommen.«
    »Irgend jemand mußte doch dasein - und sei es auch nur, um für dich zu beten«, entgegnete er unwirsch.
    Sie schloß die Augen, und ihre Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln.

    »Du bist ein dummer Junge! Aber froh bin ich trotzdem«, flüsterte sie. Dann richtete sie sich auf und blickte auf das Bündel in ihrem Arm.
    »Möchtest du ihn sehen?«
    »Aha, ein Junge ist es also!« Mit der Geschicklichkeit, die er sich in all den Jahren als Onkel erworben hatte, nahm er ihr das Kind ab und schloß es in die Arme. Dann schlug er die Decke zurück, die dem Kleinen übers Gesicht gefallen war.
    Das Neugeborene hatte die Augen so fest zugekniffen, daß sogar die Wimpern in seiner tiefen Lidfalte verschwunden waren. Die Augenlider selbst stiegen über den weichen, roten Backen schräg nach oben, was erkennen ließ, daß er zumindest darin seiner Mutter ähnelte.
    Der kleine, runde Mund hatte sich entspannt geöffnet, und die feuchte, rosige Unterlippe bebte leise, als er sich leise schnarchend von den Anstrengungen der Geburt erholte.
    »Ein hartes Stück Arbeit, oder?« fragte Jamie das Kind. Doch die Antwort kam von der Mutter.
    »Aye, das war es wirklich! Im Wandschrank steht Whisky. Würdest du mir bitte ein Glas holen?« Sie räusperte sich heiser.
    »Whisky? Nicht lieber Ale mit einem zerschlagenen Ei darin?« fragte er und versuchte, den Gedanken an das kräftigende Gebräu, das Fergus den Frauen nach einer Geburt kredenzen wollte, zu verdrängen.
    »Nein, Whisky«, bestimmte seine Schwester. »Als du todkrank unten in deinem Zimmer gelegen hast und an deinem entzündeten Bein fast gestorben wärst, habe ich dir da Ale mit zerschlagenem Ei gegeben?«
    »Sogar noch Schlimmeres«, erwiderte ihr Bruder grinsend. »Aber es stimmt, den Whisky hast du mir nicht vorenthalten.« Er legte das schlafende Kind vorsichtig auf die Bettdecke und ging zum Schrank.
    »Weißt du schon, wie er heißen soll?« fragte er, als er einen großzügigen Schluck von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit einschenkte.
    »Ich will ihn Ian nennen, nach seinem Vater.« Zärtlich ließ Jenny die Hand auf dem goldbraunen Flaum des runden Schädels ruhen. Der Kleine wirkte unglaublich zerbrechlich, aber die Hebamme
hatte Jamie versichert, er sei ein prächtiger Bursche, und so mußte er ihr wohl Glauben schenken. Plötzlich wurde Jamie von dem Wunsch überwältigt, dieses empfindliche Wesen zu

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