Ferne Ufer
neugierig. »Ich konnte zwei weitere Gestalten ausmachen - einen hübschen, dunkelhaarigen Mann und ein Mädchen.« Sie schloß die Augen, um sich alles besser in Erinnerung rufen zu können. Als sie sie wieder öffnete, sagte sie: »Später dachte ich, ich würde sie kennen - aber ich konnte ihrem Gesicht keinen Namen zuordnen. Wer war sie?«
»Mistress Abernathy«, unterbrach Jamie unser Gespräch. Der erste Schock, ihr hier zu begegnen, hatte sich gelegt, aber er war immer noch blaß, und seine Wangenknochen zeichneten sich deutlich auf seinem angespannten Gesicht ab.
Sie sah ihn an, als nähme sie zum erstenmal von ihm Notiz.
»Und wenn das nicht der junge Rotfuchs ist!« stellte sie amüsiert fest. Neugierig musterte sie ihn von oben bis unten.
»Wie ich sehe, sind Sie inzwischen zu einem gutaussehenden Mann herangewachsen. Sie sehen wie ein echter MacKenzie aus. Das war schon immer so, aber jetzt, mit zunehmendem Alter, sind Sie Dougal und Colum wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Bestimmt würden sich die beiden freuen, wenn sie wüßten, daß Sie sich noch so gut an sie erinnern.« Jamie ließ Geillis nicht aus den Augen. Er hatte sie noch nie ausstehen können, doch solange sie womöglich Ian hier versteckt hielt, durfte er sie nicht verärgern.
Da das Mädchen mit dem Tee kam, blieb sie ihm die Erwiderung schuldig. Jamie setzte sich zu mir aufs Sofa, während Geillis uns wie eine ganz gewöhnliche, höfliche Gastgeberin eine Tasse Tee einschenkte. Um diese Illusion aufrechtzuerhalten, reichte sie Milch und Zucker herum und betrieb eifrigst Konversation.
»Wenn Sie mir die Frage gestatten, Mrs. Abernathy«, erkundigte sich Jamie, »was hat Sie hierher verschlagen?« Höflich unterschlug
er den damit verbundenen Rest der Frage: Wie ist es Ihnen gelungen, nicht als Hexe verbrannt zu werden?
Sie lachte kokett auf.
»Nun, wie Sie sich vielleicht erinnern, war ich damals in Cranesmuir ein recht wildes Ding.«
»Ich meine, mich vage erinnern zu können.« Jamie trank einen Schluck Tee, während seine Ohrläppchen rot anliefen. Nun, er hatte durchaus Grund, sich zu erinnern, denn während des Hexenprozesses hatte sie sich die Kleider vom Leib gerissen, um die gut verborgene Wölbung ihres Bauches zu enthüllen, die ihr - zumindest vorübergehend - das Leben retten sollte.
Genüßlich fuhr sie sich mit ihrer kleinen rosafarbenen Zunge über die Unterlippe, um ein paar Tropfen Tee aufzulecken.
»Hast du auch Kinder?« fragte sie mich.
»Ja.«
»Eine schreckliche Plackerei, nicht wahr? Erst schleppt man sich wie eine schmutzverkrustete Sau herum, um dann schließlich von etwas entbunden zu werden, was wie eine ertränkte Ratte aussieht.« Angeekelt schüttelte sie sich. »Die Freuden der Mutterschaft, daß ich nicht lache! Obwohl, ich darf mich eigentlich nicht beklagen - schließlich hat mir der kleine Wurm das Leben gerettet. Und so schrecklich die Geburt auch ist, so ist das immer noch besser, als auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.«
»So würde ich das auch sehen«, erwiderte ich. »Obwohl ich, was letzteres betrifft, keinerlei Erfahrung habe und es daher nicht mit Bestimmtheit sagen kann.«
Geillis verschluckte sich an ihrem Tee, und ein paar braune Tropfen spritzten ihr auf das Kleid. Sie wischte sie achtlos beiseite, während sie mich belustigt ansah.
»Nun, ich auch nicht, aber ich habe sie brennen sehen, Herzchen. Und ich denke, sogar in einem Dreckloch zu liegen und zuzusehen, wie der Bauch wächst, ist allemal besser als das.«
»Haben sie dich während der ganzen Schwangerschaft im Diebesloch gefangengehalten?« Der silberne Löffel lag kühl in meiner Hand, aber bei dem bloßen Gedanken an das Diebesloch in Cranesmuir wurden meine Handflächen feucht. Der Hexerei beschuldigt, hatte ich dort drei Tage mit Geillis Duncan zugebracht. Wie lange hatte sie wohl dort ausharren müssen?
»Drei Monate«, sagte sie und starrte abwesend in ihre Teetasse. »Drei schrecklich lange Monate mit eiskalten Füßen und kriechendem Getier, stinkendem Fraß und Leichengestank, der mir Tag und Nacht um die Nase wehte.«
Sie sah auf, und ihr Mund verzog sich zu einem bitteren Grinsen. »Doch das Kind habe ich dann in stilvollerer Umgebung zur Welt gebracht. Als die Wehen einsetzten, holten sie mich aus dem Loch - in dem Zustand hätte ich mich wohl kaum davongemacht, oder? -, und das Baby wurde in meinem Schlafzimmer im Haus des Prokurators geboren.«
Ihr Blick war leicht verschwommen,
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