Ferne Ufer
energisch.
Noch mit dem Rücken zu uns meinte sie: »Kinderkriegen ist wohl doch leichter.«
»Dougal hat Sie also nach Frankreich gebracht«, stellte Jamie fest. Die Finger seiner rechten Hand zuckten leicht. »Und wie kamen Sie auf die Westindischen Inseln?«
»Ach, das war später«, meinte sie unbekümmert. »Nach Culloden.« Lächelnd wandte sie sich zu uns um.
»Und was verschafft mir die Ehre eures Besuches? Doch sicher nicht eure Sehnsucht nach mir?«
Ich sah zu Jamie hinüber, dessen Muskeln sich bei diesen Worten anspannten. Seine Miene blieb unbewegt, und nur wer ihn gut kannte, sah, daß er auf der Hut war.
»Wir sind auf der Suche nach einem jungen Verwandten von mir«, erzählte er. »Meinem Neffen Ian Murray. Wir haben guten Grund zu der Annahme, daß er hier Zwangsarbeit leistet.«
Geillis sah uns verwundert an.
»Ian Murray?« fragte sie kopfschüttelnd. »Ich habe keine Weißen als Sklaven. Überhaupt keinen Weißen. Der einzige freie Mann auf der Plantage ist ein Aufseher, und er ist, was man auf den Westindischen Inseln einen griffone nennt: zu einem Viertel Schwarz.«
Im Gegensatz zu mir war Geillis eine gute Lügnerin. Nichts deutete darauf hin, daß sie den Namen Ian Murray schon jemals zuvor gehört hatte. Aber ich wußte trotzdem, daß sie log.
Jamie wußte es auch. In seinem Blick flammte Zorn und nicht Enttäuschung auf.
»Wirklich?« meinte er höflich. »Haben Sie keine Angst so allein hier mit den Sklaven? Die Stadt ist weit.«
»O nein. Ganz und gar nicht.«
Sie grinste über das ganze Gesicht und deutete mit ihrem Doppelkinn auf die Veranda hinter sich. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß der Rahmen der Flügeltür von einer massigen schwarzen Gestalt ausgefüllt wurde. Der Mann überragte Jamie um einiges, und seine muskelbepackten Arme waren so dick wie Baumstämme.
»Darf ich euch Herkules vorstellen?« fragte Geillis kichernd. »Er hat übrigens noch einen Zwillingsbruder.«
»Heißt der zufällig Atlas?« mutmaßte ich leicht gereizt.
»Du hast es erraten. Ein schlaues Mädchen, finden Sie nicht, Rotfuchs?« Geillis zwinkerte Jamie verschwörerisch zu.
Herkules nahm keinerlei Notiz von dem, was um ihn herum vorging. Sein breites Gesicht war ausdruckslos, und seine Augen, die tief in den Höhlen lagen, wirkten tot. Bei seinem Anblick war mir unbehaglich zumute, und das nicht nur wegen seiner furchteinflößenden Größe. Ihn anzusehen war, als ginge man an einem Spukhaus vorbei, wo hinter blinden Fenstern jemand auf der Lauer lag.
»Ist gut, Herkules; du kannst wieder an deine Arbeit gehen.« Geillis griff nach dem silbernen Glöckchen und klingelte leise. Wortlos drehte sich der Riese um und trabte schwerfällig davon. »Ich habe keine Angst vor den Sklaven«, erklärte sie. »Sie haben Angst vor mir, denn sie halten mich für eine Hexe. Irgendwie lustig, oder?« Ihre Augen funkelten vergüngt.
»Geillis, dieser Mann…« Ich zögerte, denn die Frage, die mir auf der Zunge lag, erschien mir doch ein wenig lächerlich. »Er ist doch kein… Zombie, oder?«
Meine Vermutung amüsierte sie, und vergnügt klatschte sie in die Hände.
»Du lieber Himmel, ein Zombie? Heiliger Strohsack, Claire!« Sie schüttelte sich vor Lachen. »Er ist zwar nicht besonders klug«, sagte sie, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, »aber tot ist er auch nicht!« Sie begann wieder zu prusten.
Jamie sah mich verwirrt an.
»Ein Zombie?«
»Vergiß es«, meinte ich. Inzwischen war ich genauso rot angelaufen wie Geillis, allerdings aus einem anderen Grund. »Wie viele Sklaven hast du hier?« fragte ich, um das Thema zu wechseln.
Sie hatte sich noch immer nicht gefangen und gluckste: »Oh: zirka hundert. Die Plantage ist nicht besonders groß. Ich habe nur hundertzwanzig Hektar Zuckerrohr und ein paar Kaffeepflanzen in den höheren Lagen.«
Sie zog ein spitzenbesetztes Taschentuch hervor, tupfte sich damit über das verschwitzte Gesicht und holte tief Luft. Jamie war die Anspannung zwar nicht anzusehen, aber ich konnte sie deutlich spüren. Mit Sicherheit war er ebenso wie ich davon überzeugt, daß Geillis etwas über Ian Murray wußte - denn sie war von unserem Erscheinen hier nicht im mindesten überrascht gewesen. Irgend jemand hatte ihr von uns erzählt, und dieser Jemand konnte nur Ian gewesen sein.
Es würde Jamie wohl kaum in den Sinn kommen, einer Frau zu drohen, um ihr irgenwelche Informationen zu entlocken, doch ich kannte solche Skrupel nicht. Aber
Weitere Kostenlose Bücher