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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bezeichnen die Schwarzen ihre Priester. Wenn ich genau sein will, hat Ismael mir allerdings wohl erklärt, daß ihn seine Freunde oniseegun oder so ähnlich nennen.«
    »Ismael? So, so.« Ich leckte mir über die trockenen Lippen. »Ist er mit diesem Namen zu dir gekommen?«
    »O nein. Er hatte einen heidnischen Namen mit sechs Silben,
und bei seinem Sklavenhändler hieß er ›Jimmy‹. Die Auktionäre rufen alle Kerle so. Ich habe ihn wegen der Geschichte, die mir der Händler über ihn erzählt hat, Ismael genannt.«
    Ismael stammte aus einem Dorf an der Goldküste Afrikas und war gemeinsam mit sechshundert Schicksalsgenossen aus jener Region auf das Zwischendeck des Sklavenschiffs Persephone mit Ziel Antigua verfrachtet worden. Auf ihrem Weg durch die Caicos-Passage war das Schiff plötzlich in einen Sturm geraten und vor der Küste von Great Inagua auf das Hogsty-Riff gelaufen. Das Schiff war so schnell auseinandergebrochen, daß die Mannschaft kaum Zeit gehabt hatte, sich in die Rettungsboote zu flüchten.
    Die hilflosen Sklaven, angekettet im Zwischendeck, waren allesamt ertrunken. Einer jedoch war schon früher aus den Elendsquartieren geholt worden, um als Kombüsenmaat auszuhelfen, da der Schiffsjunge in Afrika an den Pocken gestorben war. Zwar ließ man diesen Sklaven auf dem Schiff zurück, doch er überlebte das Unglück, indem er sich an ein Schnapsfaß klammerte, das zwei Tage später an den Strand von Inagua gespült wurde.
    Die Fischer, die den Schiffbrüchigen fanden, waren mehr an seinem provisorischen Rettungsring interessiert als an seinem Wert als Sklaven. Nachdem sie das Faß aufgebrochen hatten, entdeckten sie darin jedoch zu ihrem Entsetzen den Leichnam eines Mannes, der durch den Alkohol notdürftig konserviert war.
    »Ob sie den Crème de Menthe wohl trotzdem getrunken haben?« fragte ich mich leise. Schließlich hatte ich in den letzten Wochen feststellen können, daß Mr. Overholts Bericht über das Verhältnis der Seeleute zum Alkohol so falsch nicht gewesen war.
    »Vermutlich.« Geillis ärgerte sich über die Unterbrechung. »Als ich davon hörte, nannte ich ihn auf der Stelle Ismael. Wegen des schwimmenden Sargs, aye?«
    »Sehr klug«, bewunderte ich sie. »Hat man… äh… herausgefunden, wer der Mann im Faß war?«
    »Ich glaube nicht.« Gleichgültig zuckte sie die Achseln. »Sie haben ihn dem Gouverneur von Jamaika gegeben, und der hat ihn in ein richtiges Glasgefäß mit frischem Alkohol gesteckt, um ihn als Kuriosität auszustellen.«
    »Was?« Ich traute meinen Ohren nicht.
    »Nun, nicht in erster Linie des Mannes wegen, sondern wegen
der seltsamen Pilze, die auf ihm wuchsen«, erklärte Geillis. »Der Gouverneur hat eine Passion für derartige Dinge. Der alte Gouverneur, meine ich. Wie ich gehört habe, gibt es jetzt einen neuen.«
    »Stimmt.« Mir war ein wenig mulmig. Man hätte wohl eher den alten Gouverneur als Kuriosität ausstellen sollen.
    Geillis wandte mir den Rücken zu, zog Schubladen auf und stöberte darin herum. Ich holte tief Luft und hoffte, daß man meiner Stimme nicht anhörte, was ich fühlte.
    »Was du über diesen Ismael erzählst, klingt interessant. Hast du ihn noch?«
    »Nein«, entgegnete sie geistesabwesend. »Dieser Schuft ist ausgerissen. Aber er war derjenige, der das Zombie-Pulver für mich zusammengemischt hat. Er wollte mir jedoch nicht erzählen, was es enthält, ganz gleich, welche Behandlung ich ihm angedeihen ließ.« Bitter lachte sie auf. Plötzlich sah ich wieder die Striemen auf Ismaels Rücken vor mir. »Er hat gesagt, Frauen dürften keinen Zauber anwenden, nur Männer oder ganz alte Frauen, die keine Monatsblutung mehr haben. Mmmpf.«
    Sie schnaubte wütend, griff in ihre Rocktasche und zog eine Handvoll Steine hervor.
    »Egal, deshalb habe ich dich jedenfalls nicht heraufgebracht.«
    Sorgfältig legte sie fünf der Kristalle in einem Kreis auf den Arbeitstisch. Dann holte sie ein dickes, in zerschlissenes Leder gebundenes Buch aus dem Regal.
    »Kannst du Deutsch?« fragte sie, während sie es vorsichtig aufschlug.
    »Nein, nur ganz wenig.« Ich trat näher heran und sah ihr über die Schulter. Hexenhammer stand in sauberer Handschrift oben auf der Seite.
    »Hexenhammer?« fragte ich. »Geht es um Magie und Zaubersprüche?«
    Geillis mußte an meiner Stimme gehört haben, wie skeptisch ich war, denn sie warf mir über die Schulter einen belustigten Blick zu.
    »Überleg doch mal, Dummchen«, sagte sie. »Wer sind wir? Oder besser,

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