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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hineingesperrt, sie im Kreis aufgestellt und angezündet. Ich dachte, das sei nötig, damit sich der Durchgang öffnet.«
    Weil meine Hände und Lippen eiskalt geworden waren, griff ich nach der Tasse, um mich daran zu wärmen. Wo, um alles in der Welt, war Jamie?
    »Und auch keine Steine?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Was für Steine?«
    Offensichtlich überlegte Geillis, was sie mir sagen sollte. Ihre kleine, rosa Zunge zuckte über die Lippen, dann nickte sie entschieden. Mit einem kleinen Grunzen stemmte sie sich aus dem
Sessel hoch, ging zu dem gewaltigen Kamin am Ende des Raums und bedeutete mir, ihr zu folgen.
    Erstaunlich behende kniete sie sich davor und drückte auf einen grünschimmernden Stein, der etwa dreißig Zentimeter über dem Feuerrost in die Kaminfassung eingelassen war. Der Stein bewegte sich, und mit einem leisen Klicken glitt eine der Schieferplatten aus ihrem Mörtelbett.
    Sie griff in die Öffnung und holte einen etwa dreißig Zentimeter langen Holzkasten hervor. Blaßbraune Flecken zeichneten sich auf dem polierten Holz ab, und seine Seitenwände waren aufgequollen und gespalten, als wäre er eine Zeitlang großer Feuchtigkeit ausgesetzt gewesen. Ich biß mir heftig auf die Unterlippe und hoffte nur, daß mir nicht anzusehen war, was ich dachte. Wenn ich bisher noch gezweifelt hatte, ob Ian hier war, so schwanden meine Zweifel jetzt. Denn vor mir lag, wenn mich nicht alles täuschte, der Schatz von der Insel der Seidenbären. Zum Glück sah Geillis nicht mich an, sondern das Kästchen.
    »Das Wissen über Kristalle hat mir ein Inder aus Kalkutta beigebracht«, erklärte sie mir. »Er hat mich aufgesucht, weil er Stechapfel brauchte. Und da hat er mir erklärt, wie man die Kräfte der Steine für sich nutzen kann.«
    Mit einem Blick über die Schulter prüfte ich, ob Jamie nicht endlich zurückgekehrt war. Wo steckte er bloß? War er irgendwo auf der Plantage auf Ian gestoßen?
    »Kristallstaub gibt es in einer Apotheke in London zu kaufen«, fuhr sie fort, während sie sich stirnrunzelnd am Riegel des Kästchens zu schaffen machte. »Aber meist ist es von schlechter Qualität, und die bhasmas können sich nicht so gut entfalten. Man sollte mindestens einen Stein zweiter Ordnung nehmen, einen sogenannten nagina - er ist recht groß und geschliffen. Ein Kristall der ersten Ordnung hat einen Facettenschliff und sollte möglichst fehlerfrei sein, aber natürlich kann es sich kaum einer leisten, so einen zu Asche zu verbrennen. Die Asche des Kristalls bergen die bhasmas .« Sie wandte sich zu mir um. »Hier, versuch doch mal, ob du diesen verdammten Riegel aufschieben kannst. Das Meerwasser hat ihn in Mitleidenschaft gezogen.«
    Sie drückte mir den Kasten in die Hände und richtete sich schwerfällig auf. Er war recht einfach gebaut, mit einem schmalen
Riegel, der den Deckel verschloß und sich nicht vom Fleck bewegte.
    »Es bedeutet Pech, wenn man den Riegel abbricht«, warnte mich Geillis, als sie meine Bemühungen sah. »Sonst hätte ich das Ding schon längst aufgestemmt. Hier, vielleicht geht’s damit.« Sie zog ein kleines Taschenmesser mit Perlmuttgriff aus den Tiefen ihres Gewands und reichte es mir. Dann trat sie an den Fenstersims und klingelte mit einem ihrer Glöckchen.
    Vorsichtig drückte ich mit der Messerklinge gegen den Riegel und ruckelte sanft. Zögernd löste er sich von seinem Platz, bis ich ihn aufschieben konnte.
    »Das wär’s«, sagte ich, während ich den Kasten widerstrebend an Geillis weitergab. Er war schwer, und in seinem Innern klapperte es metallisch.
    »Danke.« Gerade als sie ihn mir abnahm, kam ein schwarzes Dienstmädchen durch die hintere Tür in den Raum. Geillis wandte sich um und befahl ihr, frische Küchlein zu bringen. Dabei verbarg sie den Kasten hastig in den Falten ihres Rocks.
    »Neugieriges Volk«, stellte sie stirnrunzelnd fest, als das Mädchen durch die Tür verschwunden war. »Eins ist schwierig, wenn man Sklaven hat: Man kann kein Geheimnis für sich behalten.« Dann drückte sie den Deckel auf.
    Sie griff hinein und zog die Hand geschlossen wieder heraus. Natürlich war ich mir ziemlich sicher, was sie enthielt, trotzdem mußte ich staunen. Einen Edelstein mit eigenen Augen betrachten zu können ist weitaus beeindruckender, als wenn man nur eine Beschreibung hört. In Geillis’ Hand lagen sechs, sieben glitzernde und funkelnde Kristalle, flammendes Feuer, erstarrtes Eis, das Schimmern einer blauen Wasserfläche in der Sonne, und ein

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