Ferne Ufer
Quecksilber, das angezündet wird, wenn man den Spruch aufsagt. Und natürlich muß man die Linien des Pentagramms mit Diamantstaub ziehen.«
»Natürlich«, murmelte ich fasziniert.
»Riechst du sie?« fragte sie, während sie schnuppernd die Nase hochhielt. »Man sollte es nicht meinen, aber die Steine haben einen Duft. Nämlich dann, wenn man sie zu Pulver zermahlt.«
Ich atmete tief ein und meinte wirklich, über den Kräutern einen schwachen, mir fremden Geruch wahrzunehmen. Irgendwie trocken, aber angenehm - der Duft der Steine.
Plötzlich stieß Geillis einen Freudenschrei aus und hielt einen Kristall in die Höhe.
»Da ist ja der Stein, den ich brauche! Hier auf der Insel habe ich ihn nirgendwo auftreiben können, und da fiel mir das Kästchen ein, das ich in Schottland zurückgelassen hatte.« Es war ein schwarzer Stein, der, obwohl durchsichtig, zwischen ihren weißen Fingern schimmerte wie Gagat.
»Was ist das?«
»Adamant, ein schwarzer Diamant, wie er von den Alchemisten benutzt wurde. In den Büchern heißt es, wenn man einen Adamant trägt, zeigt er einem die Freuden, die in den Dingen liegen.« Sie lachte hart und trocken auf. »Wenn in der Zeitreise durch die Steine irgendwelche Freuden liegen, dann möchte ich sie gern erleben.«
Mit einiger Verzögerung dämmerte es mir allmählich. Daß es so lange gedauert hatte, konnte ich mir eigentlich nur damit erklären, daß ich einerseits Geillis zuhörte, zugleich aber auf Anzeichen von Jamies Rückkehr lauschte.
»Dann willst du also wieder zurückgehen?« fragte ich so beiläufig wie möglich.
»Vielleicht.« Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. »Nun, wo ich alles beisammen habe, was ich brauche. Aber eins sage ich dir, Claire: Ohne würde ich es nicht wagen.«
Kopfschüttelnd sah sie mich an. »Dreimal ohne Blut«, murmelte sie. »Hätte nicht gedacht, daß das möglich ist.«
Plötzlich gab sie sich einen Ruck. »So, jetzt gehen wir wohl besser nach unten«, sagte sie. Hastig fegte sie die Edelsteine in ihre Hand und verstaute sie wieder in der Rocktasche. »Dein Rotfuchs ist sicher schon zurück.«
Als wir durch das lange Arbeitszimmer zur Tür gingen, schoß plötzlich vor mir etwas kleines Braunes über den Boden. Geillis war schneller als ich und trat auf den Tausendfüßler, bevor ich mich dazwischenschieben konnte.
Sie schob einen Bogen Papier unter das halbzerquetschte Tier und ließ es in ein Deckelglas gleiten.
»Du weigerst dich also, an Hexen, Zombies und anderen Spuk zu glauben?« fragte sie, während sie mich verschlagen angrinste. Sie wies auf den Tausendfüßler im Glas. »Ein Märchen ist wie ein Tausendfüßler. Aber mit wenigstens einem Bein fußt es gewöhnlich in der Wahrheit.«
Sie holte einen durchsichtigen braunen Krug vom Tisch und goß Alkohol in das Glas mit dem Tausendfüßler. Sauber verkorkte Geillis das Glas und stellte es fort.
»Du hast mich nach meiner Meinung gefragt, warum wir durch die Steine gehen können«, sagte ich zu ihrem Rücken. »Ich habe keine Ahnung. Weißt du es?«
Sie sah mich über die Schulter an.
»Na klar, damit wir die Dinge verändern können«, antwortete sie erstaunt. »Warum sonst? Aber komm jetzt! Ich höre unten deinen Mann.«
Allem Anschein nach hatte Jamie harte Arbeit geleistet, denn sein Hemd war schweißnaß. Als wir ins Zimmer traten, drehte er sich hastig um, und ich sah, daß er das Holzkästchen betrachtet hatte, das Geillis auf dem Tisch hatte stehenlassen. Seinem Ausdruck nach zu urteilen, waren meine Vermutungen richtig gewesen: Es war wirklich der Schmuckkasten von der Insel der Seidenbären.
»Ich glaube, es ist mir gelungen, Ihre Zuckermühle zu reparieren, Madam«, sagte er mit einer höflichen Verbeugung vor Geillis. »Schuld war ein geborstener Zylinder, aber Ihrem Aufseher und mir ist es gelungen, ihn zu flicken. Leider fürchte ich, daß Sie trotzdem bald einen neuen brauchen werden.«
Geillis zog belustigt die Augenbrauen hoch.
»Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, Mr. Fraser. Darf ich Ihnen nun eine Erfrischung anbieten?« Sie streckte schon die Hand nach einem der Glöckchen aus, doch Jamie schüttelte rasch den Kopf und nahm seinen Rock vom Sofa.
»Vielen Dank, Madam, aber ich fürchte, wir müssen aufbrechen. Der Weg nach Kingston ist weit, und wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit dort eintreffen wollen, müssen wir jetzt los.« Plötzlich wurde sein Gesicht starr. Er hatte gemerkt, daß Briannas Fotos nicht mehr in seiner
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