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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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verlangen.«
    »Das stimmt.« Offensichtlich erwärmte er sich immer mehr für unser Thema, denn er lehnte sich zurück und faltete wie ein Lehrer die Hände über seinem kleinen Bäuchlein. »Aus diesem Grund formuliert ein Wissenschaftler Hypothesen, also Vorschläge, wie ein beobachtetes Phänomen zu erklären sein könnte. Aber eine Hypothese darf auf keinen Fall mit einer Erklärung oder gar einem Beweis verwechselt werden.
    Ich habe viele Dinge gesehen, die man als außerordentlich bezeichnen könnte. Fische, die vom Himmel fallen, zum Beispiel - alle von der gleichen Art und Größe. Mitten auf dem trockenen Land tauchen sie plötzlich am wolkenlosen Himmel auf und fallen herunter. Es scheint, als gäbe es dafür keine logische Erklärung, und dennoch - dürfen wir dieses Ereignis deshalb dem Einfluß des Übernatürlichen zuschreiben? Ist es auf den ersten Blick wahrscheinlicher, daß sich eine überirdische Intelligenz einen Spaß erlaubt oder daß ein für uns nicht sichtbares meteorologisches Phänomen
- eine Wasserhose, ein Tornado oder Ähnliches - am Werk ist? Aber eine Frage bleibt: Warum und auf welche Weise entfernt ein Naturphänomen wie eine Wasserhose wohl bei allen Fischen die Köpfe - und zwar nur die Köpfe?«
    »Haben Sie das mit eigenen Augen gesehen?« fragte ich ihn fasziniert. Er lachte.
    »Da spricht die Wissenschaftlerin aus Ihnen. Die erste Frage, die jeder Naturforscher stellt: Woher wissen Sie das? Wer hat das gesehen? Kann ich das auch sehen? Ja, ich war schon dreimal Augenzeuge bei diesen Vorgängen, obwohl es sich einmal um Frösche handelte und nicht um Fische.«
    »Befanden Sie sich in der Nähe des Meeres oder eines Sees?«
    »Einmal nahe der Küste und ein andermal - bei den Fröschen - an einem See. Aber beim drittenmal war ich weit im Landesinneren, etwa zwanzig Meilen vom nächsten Gewässer entfernt. Und die Fische gehörten zu einer Art, die ich nur in der Tiefsee gefunden habe. In keinem der Fälle konnte man irgendeine Störung in den oberen Luftschichten ausmachen - keine Wolken, kein stärkerer Wind, keine Wasserhose, die sich aus dem Meer in den Himmel erhebt. Und trotzdem sind die Fische vom Himmel gefallen. Das ist eine Tatsache, denn ich habe sie selbst gesehen.«
    »Und wenn Sie sie nicht gesehen hätten, wäre es dann keine Tatsache?« fragte ich trocken.
    Amüsiert lachte er auf. Jamie wurde unruhig und murmelte etwas in meinen Schoß.
    »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wie heißt es in der Bibel? ›Selig sind, die nicht sehen und doch glauben‹.«
    »Ja, so steht es da.«
    »Einige Dinge muß man einfach als Tatsache hinnehmen, ohne die nachweisbare Ursache zu kennen.« Er lachte wieder auf, diesmal jedoch eher traurig.
    Wir schwiegen. Vor uns, über dem Bug des kleinen Schiffs, zeichnete sich eine Linie ab, die dunkler war als der Himmel mit seinem purpurroten Schimmer oder das silbriggraue Meer. Die schwarze Insel Hispaniola rückte langsam, aber stetig näher.
    »Wo haben Sie die Fische ohne Kopf gesehen?« fragte ich plötzlich. Ich war nicht weiter überrascht, als er mit dem Kopf in Richtung des Schiffsbugs wies.

    »Dort«, sagte er. »Auf diesen Inseln habe ich viele eigenartige Dinge gesehen, mehr als irgendwo sonst auf der Welt. An einigen Orten ist das so.«
    Ich überlegte, was uns erwarten mochte. Außerdem betete ich, daß Ismael sich nicht geirrt hatte, daß es Ian war, den Geillis nach Abandawe mitgenommen hatte. Dann fiel mir etwas ein, was ich im Laufe der Ereignisse des letzten Tages vergessen hatte.
    »Was ist eigentlich mit den anderen schottischen Jungen? Ismael sagte, er hätte außer Ian noch elf Burschen gesehen. Als Sie die Plantage durchsucht haben, sind Sie da auf Spuren von ihnen gestoßen?«
    Er zog scharf die Luft ein und ließ sich Zeit mit der Antwort. Ich merkte, daß er scharf überlegte, wie er sie formulieren sollte. Eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken.
    Die Antwort schließlich kam nicht von Stern, sondern von Jamie.
    »Wir haben die Jungen gefunden«, sagte er leise. Seine Hand drückte sanft mein Knie. »Frage nicht weiter, Sassenach, mehr werde ich dir nicht sagen.«
    Ich verstand. Demnach hatte Ismael wohl doch recht; Ian mußte bei Geillis sein, denn sonst wäre Jamie nicht so ruhig. Ich legte ihm wieder meine Hand auf den Kopf.
    »Selig sind« , flüsterte ich, »die nicht sehen und doch glauben.«
     
    Bei Morgengrauen gingen wir in einer kleinen namenlosen Bucht an der Nordküste Hispaniolas vor

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