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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Podest eingenommen und den Wortlaut der Anklage und der Bestrafung gehört, ohne sie wirklich aufzunehmen. Weder der stechende Schmerz der Fessel um seine Handgelenke noch der kalte Regen auf seinem nackten Rücken hatten ihn aufgerüttelt. Was er jetzt erlebte, hatte er früher schon durchgemacht. Was er auch sagte oder tat - nichts würde sich ändern. Das Schicksal nahm seinen Lauf.
    Das Auspeitschen hatte er ertragen. Währenddessen konnte er sich keine Gedanken machen oder seinen Schritt bedauern. Es
nahm all seine Kraft in Anspruch, die Marter seines Körpers zu ertragen.
    Sein seltsamer Geisteszustand ließ ihn sämtliche Sinneseindrücke überdeutlich empfinden. Wenn er sich anstrengte, konnte er jeden Striemen fühlen, der über seinen Rücken lief, jeden einzelnen vor seinem geistigen Auge als lebendigen farbigen Streifen erkennen. Doch der Schmerz der klaffenden Wunde, die sich von den Rippen bis zur Schulter zog, hatte nicht mehr Gewicht für ihn als das nahezu angenehme Gefühl von Schwere in den Beinen, die Schmerzen in den Armen oder das sanfte Kitzeln seiner Haare auf der Wange.
    Er hörte, wie sein Puls langsam und regelmäßig klopfte. Zwischen seinem seufzenden Atem und seiner sich hebenden und senkenden Brust schien es keine Verbindung zu geben. Er bestand aus lauter Einzelteilen, von denen jedes anders empfand und keins mit der zentralen Schaltstelle verknüpft war.
    »Hier, Mac Dubh«, hörte er Morrisons Stimme an seinem Ohr. »Trink das.«
    Als ihm der starke Whiskygeruch in die Nase drang, wandte er den Kopf ab.
    »Das brauche ich nicht«, sagte er.
    »Doch«, entgegnete Morrison mit der sachlichen Entschiedenheit, die offenbar allen Heilern zu eigen war. Weil ihm die Kraft fehlte, um zu streiten, öffnete Fraser den Mund und nippte an dem Whisky.
    »Noch ein wenig, aye, so ist’s recht«, redete Morrison ihm gut zu. »Braver Junge. Aye, wird schon besser, was?« Morrisons rundlicher Körper verdeckte Fraser die Sicht. Durch das hohe Fenster zog es, aber ihm war, als rührte die Unruhe im Raum nicht daher.
    »Nun, wie geht’s dem Rücken? Morgen bist du steif wie ein Stock, aber ich denke, es könnte noch schlimmer sein. Hier, Mann, trink noch einen Schluck.« Der Rand des Hornbechers wurde hartnäckig gegen Jamies Lippen gepreßt.
    Unablässig redete Morrison mit lauter Stimme auf ihn ein. Da stimmte etwas nicht. Morrison war kein gesprächiger Mann. Irgend etwas ging hier vor sich. Fraser hob den Kopf, aber Morrison drückte ihn wieder auf die Bank zurück.
    »Mach dir keine Mühe, Mac Dubh«, sagte er sanft. »Du kannst ohnehin nichts tun.«

    Von der anderen Ecke der Zelle drangen verstohlene Laute. Ein Kratzen, ein kurzes Wimmern, ein dumpfer Schlag. Dann gedämpfte Hiebe, langsam und regelmäßig, angstvolles, schmerzerfülltes Keuchen, unterbrochen von klagendem Stöhnen.
    Sie schlugen den jungen Angus MacKenzie. Fraser wollte sich aufstemmen, aber ihm wurde schwarz vor Augen. Morrisons Hand drückte ihn wieder nach unten.
    »Bleib liegen, Mac Dubh«, sagte er. Seine Stimme klang ebenso bestimmt wie resigniert.
    Schwindel erfaßte ihn, und seine Hände glitten von der Bank. Morrison hatte recht, er konnte sie nicht aufhalten.
    Unter Morrisons Hand beruhigte er sich und wartete mit geschlossenen Augen, bis die Geräusche aufhörten. Doch er fragte sich, wer für diese blinde Justiz verantwortlich war. Sinclair. Sein Verstand beantwortete ihm diese Frage ohne Zögern. Unterstützt von Hayes und Lindsay, kein Zweifel.
    Sie konnten einfach nicht anders, genausowenig wie er selbst oder Morrison. Die Menschen taten das, wozu sie geboren waren. Der eine zum Heiler, der andere zum Tyrannen.
    Bis auf gedämpftes Schluchzen waren die Laute verebbt. Frasers Schultern entspannten sich, und er bewegte sich nicht, als Morrison den letzten nassen Umschlag abnahm und ihn sanft trockenrieb.
    Der Becher mit Whisky wurde ihm gegen den Mund gepreßt. Als er den Kopf abwandte, wurde er weitergereicht an jemanden, der ihn freudiger aufnahm. Wahrscheinlich an Milligan, den Iren.
    Ein Mensch hatte eine Schwäche für Alkohol, der andere einen Abscheu davor. Der eine mochte Frauen, der andere…
    Er seufzte und rutschte auf dem harten Lager hin und her. Morrison hatte eine Decke über ihn gelegt und war weggegangen. Fraser fühlte sich ausgelaugt und leer. Nach wie vor kam es ihm vor, als bestünde er aus Einzelteilen, aber sein Verstand war klar.
    Auch die Kerze hatte Morrison mitgenommen. Sie brannte nun

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