Ferne Ufer
amerikanischen Kolonien deportiert«, fuhr er fort. »Sie müssen dort sieben Jahre Zwangsarbeit leisten.«
Jamie hatte jede Gefühlsäußerung unterdrückt, spürte jedoch, wie ihm bei diesen Worten das Blut aus Gesicht und Händen wich.
»Zwangsarbeit? Das bedeutet nichts anderes als Sklaverei«, bemerkte er, ohne wirklich auf seine Worte zu achten. Amerika! Land der Wüste und der Wilden, das nur über dreitausend Meilen einsamer, tosender See zu erreichen war. Zwangsarbeit in Amerika kam einer lebenslänglichen Verbannung aus Schottland gleich.
»Zwangsarbeit bedeutet keine Sklaverei«, hatte Grey ihm versichert, obwohl er genau wußte, daß der Unterschied nur im Wortlaut des Gesetzes bestand und lediglich insofern stimmte, als die Arbeiter ihre Freiheit zu einem festgesetzten Zeitpunkt zurückerhielten, sofern sie überlebten. In praktischer Hinsicht war ein Zwangsarbeiter ein Sklave seines Herrn oder seiner Herrin: er wurde willkürlich mißhandelt, ausgepeitscht oder gebrandmarkt, und es war ihm dem Gesetz nach untersagt, das Land seines Herrn ohne Genehmigung zu verlassen.
Was Fraser ebenfalls verboten war.
»Sie sollen nicht mit den anderen deportiert werden«, hatte Grey zu ihm gesagt, ohne ihn anzusehen. »Sie sind nicht nur Kriegsgefangener, sondern ein verurteilter Verräter. Ohne Billigung des Königs dürfen Sie nicht deportiert werden. Und Seine Majestät hat es nicht gebilligt.«
Unterschiedlichste Gefühle bemächtigten sich Frasers: Neben seiner jähen Wut quälten ihn Angst und Sorge um die Zukunft seiner Männer, vermischt mit einem Anflug unehrenhafter Erleichterung darüber, daß er sich - welches Schicksal ihm auch blühen mochte - nicht dem Meer aussetzen mußte. Beschämt hatte er einen kühlen Blick auf Grey geworfen.
»Wegen des Goldes«, sagte er schlicht, »nicht wahr?« Solange auch nur die geringste Möglichkeit bestand, daß er etwas von dem preisgab, was er über den sagenumwobenen Schatz wußte, würde die englische Krone nicht das Risiko eingehen, ihn den Seedämonen oder den Wilden in den Kolonien zu überantworten.
Der Major sah ihn noch immer an, hob aber leicht die Schultern, was einem Ja gleichkam.
»Wo soll ich denn hin?« Seine eigene Stimme klang ihm rauh in den Ohren, während er sich allmählich von dem Schock erholte.
Grey machte sich daran, seine Unterlagen wegzuräumen. Man schrieb Anfang September, eine warme Brise drang durch das halbgeöffnete Fenster herein und wehte die Blätter auseinander.
»Der Ort heißt Helwater und liegt im Lake District von England. Sie werden bei Lord Dunsany unterkommen und müssen jegliche Arbeit verrichten, die er Ihnen aufträgt.« Dann blickte Grey auf und sagte mit undurchdringlicher Stimme: »Einmal im Vierteljahr werde ich Sie besuchen, um mich von Ihrem Wohlergehen zu überzeugen.«
Fraser blickte auf den rotberockten Rücken des Majors, als sie hintereinander die engen Wege entlangritten, und flüchtete sich aus seinen Qualen, indem er sich der befriedigenden Vorstellung hingab, wie diese großen, blauen Augen hervorquollen, während sich seine Hände um den schlanken Hals legten, bis der kleine, muskulöse Körper des Majors unter seinem Griff wie der eines getöteten Kaninchens erschlaffte.
Seine Majestät? Er ließ sich nicht hinters Licht führen. Das hatte er Grey zu verdanken. Das Gold diente nur als Vorwand. Er sollte als Knecht verkauft und an einem Ort festgehalten werden, wo Grey ihn beobachten und sich daran weiden konnte. So also sah die Rache des Majors aus.
Nacht für Nacht hatte er mit schmerzenden Gliedern in der Herberge vor der Feuerstelle gelegen. Er war sich jeder Regung des Mannes in dem Bett hinter sich bewußt und voller Unmut ob dieser Wahrnehmung. In der Morgendämmerung packte ihn jedesmal von neuem der Zorn, und er ersehnte nichts mehr, als daß sich der andere erhob und ihm gegenüber eine schändliche Geste machte, damit er seinem Abscheu endlich Luft machen und den Mann ermorden konnte. Aber Grey schnarchte nur.
Sie ritten über die Helvellyn Bridge, vorbei an einem weiteren Bergsee. Aus den Ahornbäumen regnete es rote und gelbe Blätter, und die Lärchen verloren ihre Nadeln.
Grey hatte unmittelbar vor ihm angehalten und blickte sich um. Sie waren also am Ziel. Am Fuß eines steilen Abhangs befand sich das Gut, halb verdeckt von einer Unzahl herbstlich bunter Bäume.
Helwater lag vor ihm und damit ein Leben beschämender Knechtschaft. Er straffte den Rücken und drückte
Weitere Kostenlose Bücher