Ferne Ufer
die Leiter hinunter und stellte sich dem Sturm.
Es war eine höllische Fahrt. Der Wind heulte durch den Hohlweg, packte die Kutsche und drohte, sie jeden Moment umzuwerfen. Hoch oben neben Jeffries auf dem Kutschbock bot ein Umhang nur wenig Schutz. Als noch weniger nützlich erwies er sich, wenn Jamie - alle paar Minuten, so schien es ihm - absteigen und seine Schulter gegen das Rad stemmen mußte, um das elende Gefährt aus einem Schlammloch zu befreien.
Dennoch empfand er die körperlichen Unannehmlichkeiten kaum, denn seine Gedanken kreisten um die möglichen Gründe für diese Fahrt. Gewiß gab es nur wenige dringliche Angelegenheiten, die einen alten Mann wie Lord Dunsany an einem derartigen Tag dazu brachten, das Haus zu verlassen. Es waren Nachrichten von Ellesmere eingetroffen, die allein Lady Geneva oder ihr Kind betreffen konnte.
Als Jamie über die Bediensteten zu Ohren gekommen war, daß
Lady Geneva im Januar niederkommen sollte, hatte er rasch zurückgerechnet, Geneva Dunsany erneut zum Teufel gewünscht und anschließend hastig Gottes Segen für die Geburt erfleht. Seither hatte er sich bemüht, nicht mehr daran zu denken. Sie waren nur drei Tage vor Genevas Hochzeit zusammengekommen. Von wem das Kind war, schien also ungewiß.
Vor einer Woche war Lady Dunsany nach Ellesmere gefahren, um ihrer Tochter beizustehen. Täglich hatte sie Boten nach Hause geschickt, um dieses und jenes holen zu lassen, das sie vergessen hatte und auf der Stelle haben mußte. Und immer wurde die Nachricht überbracht: »Keine Neuigkeiten.« Nun gab es welche. Aber offenbar keine guten.
Als er nach einer neuerlichen Schlacht gegen den Schlamm wieder zurück zum Kutschbock ging, lugte Lady Isobel aus dem Fenster.
»Ach, MacKenzie!« rief sie mit schmerzverzerrtem, sorgenvollem Gesicht. »Bitte, ist es noch sehr weit?«
Er beugte sich zu ihr und rief ihr über das Tosen hinweg ins Ohr: »Jeffries meint, es sind noch vier Meilen, Mylady. Vielleicht zwei Stunden.« Falls die verteufelte Kutsche nicht mitsamt ihren unglückseligen Passagieren von der Ashness Bridge in den Watendlath Tarn fiel, fügte er in Gedanken hinzu.
Isobel dankte ihm mit einem Kopfnicken und schob das Fenster wieder zu. Doch er hatte bereits gesehen, daß ihre Wangen nicht nur vom Regen, sondern auch von Tränen feucht waren. Die Sorge, die sich wie eine Schlange um sein Herz knotete, wuchs zusehends.
Es waren annähernd drei Stunden vergangen, als die Kutsche schließlich in den Hof von Ellesmere rollte. Unverzüglich sprang Lord Dunsany heraus, nahm sich kaum die Zeit, seiner jüngeren Tochter den Arm zu bieten, und eilte ins Haus.
Es dauerte fast noch zwei Stunden, bis die Pferde abgezäumt und trockengerieben waren und sie den Schlamm von den Rädern der Kutsche gewaschen hatten. Nachdem alles in Ellesmeres Ställen untergebracht war, suchten Jamie und Jeffries, benommen vor Kälte, Müdigkeit und Hunger, in der Küche Zuflucht.
»Ihr armen Kerle seid ja blaugefroren«, wurden sie von der Köchin bedauert. »Setzt euch her. Gleich gibt es was Warmes zu
essen.« Ungeachtet ihrer hageren Figur verstand die Frau ihr Handwerk, denn schon nach wenigen Minuten tischte sie ihnen ein riesengroßes, schmackhaftes Omelett nebst einer verschwenderischen Menge Brot und Butter und einem kleinen Topf Marmelade auf.
»Nicht schlecht«, bemerkte Jeffries und betrachtete das Mahl anerkennend. Er blinzelte der Köchin zu. »Meinst du nicht, daß es mit einem herzhaften Schluck noch mal so gut rutschen würde? Du siehst aus wie eine, die mit zwei halberfrorenen Kerlen Mitleid hat. Hab’ ich recht, Süße?«
Ob es an den Überredungskünsten des Iren lag oder am Anblick der beiden tropfnassen Gestalten - die Worte zeigten die erwünschte Wirkung, und eine Flasche mit Kochbranntwein wurde neben die Pfeffermühle gezaubert. Nachdem Jeffries sich einen Becher eingeschenkt und auf einen Zug geleert hatte, leckte er sich die Lippen.
»Jetzt geht’s schon besser! Hier, Junge.« Er reichte Jamie die Flasche, dann machte er es sich bequem, verzehrte genußvoll die warme Mahlzeit und schwatzte mit den Dienstmädchen. »Und, was tut sich hier? Ist das Baby schon auf der Welt?«
»Ja, seit letzter Nacht«, sagte das Küchenmädchen eifrig. »Wir waren die ganze Zeit auf. Der Doktor ist gekommen, frische Bettwäsche und Handtücher mußten gebracht werden. Das ganze Haus war ein einziges Durcheinander. Aber das Baby war noch das Wenigste.«
»Jetzt aber an die
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