Ferne Ufer
Arbeit«, unterbrach die Köchin mit streng gerunzelter Stirn. »Es gibt mehr zu tun, als hier herumzustehen und zu klatschen. Beweg dich, Mary Ann, geh nach oben ins Studierzimmer und sieh nach, ob Seine Lordschaft etwas braucht.«
Während Jamie seinen Teller mit einer Scheibe Brot auswischte, beobachtete er, daß das Mädchen ob des Tadels beileibe nicht bestürzt war, sondern eilfertig gehorchte. Daraus schloß er, daß sich im Studierzimmer interessante Dinge abspielten.
Nachdem sie sich solcherart die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer gesichert hatte, ließ sich die Köchin bereitwillig entlocken, was sich ereignet hatte.
»Das Ganze begann vor ein paar Monaten, als man es Lady Geneva immer deutlicher ansah. Armes Ding. Nach der Hochzeit war
Seine Lordschaft zuckersüß zu ihr, hat ihr aus London bestellt, wonach sie verlangte, immerzu gefragt, ob ihr warm genug wäre und was sie essen wollte. Er hat sie angebetet, wirklich, bis er gemerkt hat, daß sie schwanger ist.«
Die Köchin hielt inne, um eine unheilverkündende Miene aufzusetzen.
»Das gab vielleicht ein Geschrei und Gezeter«, fuhr sie dann fort und warf die Arme in die Höhe, um ihre Worte zu unterstreichen. »Er brüllte. Sie weinte. Beide stampften mit den Füßen und schlugen mit den Türen. Er hat ihr Schimpfnamen an den Kopf geworfen, die man nicht einmal im Stall gebraucht. Deshalb habe ich zu Mary Ann gesagt…«
»Hat sich Seine Lordschaft denn nicht über das Kind gefreut?« unterbrach Jamie sie. Das Omelett lag ihm schwer im Magen. Er nahm noch einen Schluck Weinbrand in der Hoffnung, den Kloß im Hals loszuwerden.
Die Köchin drehte sich zu ihm um und hob in Anerkennung seiner Intelligenz eine Augenbraue. »Ja, das hätte man wohl erwarten sollen. Aber er hat sich nicht gefreut, überhaupt nicht«, fügte sie mit Nachdruck hinzu.
»Warum nicht?« fragte Jeffries mit mäßigem Interesse.
»Er hat gesagt«, setzte die Köchin an und senkte die Stimme in Anbetracht der skandalösen Mitteilung, »das Kind sei nicht von ihm.«
Jeffries hatte das zweite Glas schon fast geleert und schnaubte halb verächtlich, halb vergnügt. »Ein alter Bock mit einem jungen Mädchen? Könnte gut möglich sein, aber wie um alles in der Welt will Seine Lordschaft wissen, von wem der Balg ist? Könnte doch auch seiner sein, oder nicht?«
Die schmalen Lippen der Köchin verzogen sich zu einem boshaften Grinsen. »Ich sage ja nicht, daß er weiß, von wem es ist - aber für ihn besteht wohl kein Zweifel daran, daß es nicht von ihm ist, wenn du kapierst, was ich meine.«
Jeffries sah die Köchin an und kippte mit dem Stuhl leicht nach hinten. »Wie?« fragte er. »Du willst sagen, Seine Lordschaft kann nicht mehr?« Bei diesem Gedanken malte sich ein breites Grinsen auf sein wettergegerbtes Gesicht. Jamie spürte, wie ihm das Omelett hochkam, und goß rasch Weinbrand nach.
»Ich will damit nicht behaupten, daß ich mir sicher bin.« Der Mund der Köchin verengte sich zu einem Strich, dann fügte sie hinzu: »Aber das Zimmermädchen hat gesagt, daß die Laken, die sie nach der Hochzeitsnacht abgezogen hatte, weiß wie Schnee waren.«
Das war zuviel. Jamie unterbrach Jeffries’ amüsiertes Gegacker, setzte sein Glas hörbar ab und fragte ohne Umschweife: »Lebt das Kind?«
Die Köchin und Jeffries starrten ihn erstaunt an. Nach einer Weile nickte die Frau.
»Aber ja, sicher. Er ist ein strammes kleines Kerlchen, wie ich gehört habe. Ich dachte, ihr wüßtet es bereits. Es ist die Mutter, die nicht mehr lebt.«
Die unverblümte Erklärung traf sie wie ein Blitz. Selbst Jeffries verstummte, bekreuzigte sich hastig, murmelte: »Gott sei ihrer Seele gnädig«, und leerte sein Glas.
Jamie fühlte ein Brennen in der Kehle. Lag es am Weinbrand oder an seinen Tränen - er konnte es nicht sagen. Entsetzen und Trauer würgten ihn. Die nächste Frage brachte er kaum über die Lippen: »Wann?«
»Heute morgen«, sagte die Köchin und nickte traurig. »Kurz vor Mittag, das arme Mädchen. Nach der Geburt dachten alle, sie kommt durch. Mary Ann hat erzählt, sie hätte mit dem kleinen Wurm im Arm dagesessen und gelacht.« Bei dem Gedanken seufzte sie. »Aber kurz vor Morgengrauen hat sie wieder stark zu bluten begonnen. Der Arzt wurde gerufen, und er kam auch, so schnell er konnte, aber…«
Polternd öffnete sich die Tür, und Mary Ann stürmte mit weit aufgerissenen Augen herein.
»Euer Herr verlangt nach euch«, platzte sie heraus und sah bald
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