Ferne Verwandte
Auto herumgekurvt sind, jedes Mal eine Ausrede
einfallen, wenn sie nach mir suchen. Tatsächlich kommen sie mir ziemlich kindisch vor, während ich mich so erwachsen fühle, so sehr von meinen Frauen in Anspruch genommen. Kurzum, alles läuft gut, zu gut. Denn dann passiert etwas.
Zufällig passiert es an dem Tag, an dem ich zum ersten Mal von einer Gesellschaft engagiert worden bin - ein Hinweis darauf, dass der Winter vorbei ist, ebenso der Frühling. Tatsächlich haben wir schon beinahe Sommer, und die Hochzeitssaison ist angebrochen.
Unter den Gästen befindet sich auch Rino - aber war der denn nicht nach Turin gezogen, um zu arbeiten oder, besser gesagt, um zu streiken? Während ich spiele, fixiert er mich mit der üblichen frechen Miene. Irgendwann steht er auf und kommt auf mich zu. Mit theatralischer Geste stützt er sich auf die Farfisa und sagt grinsend: »Bravo! Du bist echt gut!« Es ist das erste Mal, dass er mich spielen hört - er gehört ja garantiert nicht zu den Kirchgängern -, aber so viel Freundlichkeit macht mich stutzig. Und tatsächlich schiebt er sofort nach: »Ich hätte ein ernsthaftes Angebot für dich.«
Ich hebe das Kinn, um ihm zu bedeuten: In Ordnung, schieß los, und strecke die Hand nach meinem Glas aus. Er wirft einen angewiderten Blick darauf und fragt: »Was trinkst du denn da?«
Gewöhnlich trinke ich Bier, aber wenn ich gleich damit anfinge - und solche Bankette dauern ja bekanntlich endlos -, hätte ich später Mühe, nach Hause zurückzufinden. Jedenfalls antworte ich in herausforderndem Ton: »Eine Aranciata. «
» Aranciata ? Er trinkt eine A-ran-cia-taaa !«, äfft er mich nach und versetzt mir einen Stoß, der mich fast vom Stuhl haut. »Nein, also so was! Wir müssen unbedingt mal miteinander reden. Dann erklär ich dir auch, worum es im Leben wirklich geht.«
Eigentlich müsste ich ihn hassen, aber es ist eben gerade seine Art, die mich an Rino so anzieht, schon seit Kindergartenzeiten. Außerdem bin ich gespannt zu erfahren, was er jemandem über das Leben beibringen will, der es mit sechzehn nicht nur mit der Tochter des Maresciallo aus Treviso treibt, sondern auch mit einer verheirateten Frau, bei der sonst alle im Dorf abgeblitzt sind. Deshalb
antworte ich mit einem provozierenden Grinsen: »Einverstanden. Wann treffen wir uns?«
Wir trafen uns noch am selben Abend. Rino hatte die ganze Zeit getrunken, getanzt und sich vor den anwesenden Mädchen wie ein Idiot aufgeführt. Er ist sehr groß und so hager, dass seine Beckenknochen hervorstehen. Mit der Afrofrisur, der starken Mimik und den Falten, die sich bei jedem Ausdruck auf seiner Stirn bilden, wirkt er selbstsicher und unverschämt und allemal älter als siebzehn. Ich sah, wie seine Hände beim Tanzen über die Hüften seiner Partnerinnen glitten und ihnen schließlich den Hintern streichelten. Irgendwann brüllte er: »Etwas Aktuelleres, Maestro!« Ich spielte Celentano, aber das war eine Pleite. Angewidert verzog er das Gesicht und fing an, wie ein Besessener herumzuzappeln. Anfangs war das sogar noch witzig, doch dann bewegte er sich immer obszöner, und die anderen starrten ihn an, als wollten sie sagen: Jetzt ist er endgültig übergeschnappt. Deshalb pfiffen irgendwann die Väter ihre Töchter, die Ehemänner ihre Frauen, die Brüder ihre Schwestern zurück, und niemand tanzte mehr mit ihm. Daraufhin schenkte er sich noch ein Glas ein und schnaubte mich an: »Gehen wir?«
»Wenn das Fest zu Ende ist.«
»So was nennst du ein Fest?«
»Egal, wie du es nennst: Ich jedenfalls arbeite hier.«
Statt einer Antwort schüttelte er den Kopf, angelte sich einen Stuhl und bezog neben mir Stellung. Dann streckte er die Beine aus, legte die eine Hand fast auf die Eier und starrte mit einem seltsamen Grimassieren auf die Leute, die wieder zu tanzen angefangen hatten. Er ist sternhagelvoll, hört aber nicht auf, mir zuzusetzen. In immer kürzeren Abständen zischt er: »Jetzt reicht’s, gehen wir«, und ähnlich nerviges Zeug - »Schau dir bloß das Arschgesicht an«, und »Schau, wie der sie an sich drückt, dem würd ich aber eine knallen« usw. Ich drehe den Verstärker lauter, sonst kriegen die anderen am Ende noch mit, was er sagt. Schließlich erheben sich die Leute nach und nach von den Tischen und reihen sich vor den
Brautleuten auf, um sich zu verabschieden. Er wartet nicht einmal, bis der Saal ganz leer ist, packt meinen Arm und lässt mich partout nicht mehr los. Ich lege eine letzte Phrase hin,
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