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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Bierkasten steigen. Ihre Wade streift meine Wange. Ich blicke auf, um mir einen Reim auf das zu machen, was da vor sich geht, und sehe, wie sie sich nach vorn beugt. Sie greift sich ihre Zigaretten vom Likörregal und zündet sich eine an, kehrt aber nicht in ihre vorige Position zurück, sondern nimmt einen tiefen Zug. Von unten gesehen, kommt sie mir riesig vor. Ihre Beine sind gespreizt, der eine Fuß steht am einen Ende des Kastens, der andere am anderen. Sie schüttelt über den Witz eines Gastes den Kopf, dann neigt sie sich in meine Richtung, sieht mich an und hat wieder dieses Gesicht einer verzückten Heiligen. Gerade noch rechtzeitig lese ich von ihren mystischen Lippen die stummen Laute ab, da schiebt mich ihre Hand auch schon unter ihren kurzen Rock, presst meinen Kopf gegen ihre Schenkel, drückt das Netz ihrer Strümpfe an mein Gesicht. Es ist erregend, den glatten Strumpfrand zu spüren, ihr nacktes Fleisch darüber. Sie bewegt sich im Rhythmus des Schlagers, der wohl aus der Jukebox kommt; Stimmen und Gelächter der Leute dringen nur gedämpft an meine Ohren. Was ich jedoch ganz deutlich wahrnehme, ist ein starker Moschusduft. Nicht, dass er unangenehm wäre, nur weiß ich nicht recht, was ich jetzt machen soll. Wenn wir uns in einer anderen Position befänden, ja, lägen wir zum Beispiel auf einem Bett, aber so … So lässt mich die ganze Angelegenheit ziemlich kalt, ehrlich gesagt. Sie dagegen bewegt sich immer noch, gibt mir ein paar Klapse in den Nacken, und ich begreife wirklich nicht, was sie will, bis mir die Erleuchtung kommt. Auf einmal erinnere ich mich an die Fotos in einem der Pornohefte, die der Schweizer an mich weitergereicht hat, an die Bewegung ihrer Lippen vorhin, als sie lautlose Worte gesprochen hatte, und es ist, als träfe der Ton
nun mit verzögertem Echo bei mir ein. Bitte lecken . Ja, das war’s, was sie gesagt hat.
    Hätte ich noch irgendeinen Zweifel, dann zerstreut ihn ihre Hand, die mich gegen diese inneren, glitschigen Lippen presst. Sie pulsieren, kitzeln mich an der Nase. Und dann lecke ich und lecke und lecke, während Imma mich mit einem heißen Schaum überschwemmt, ähnlich dem auf dem Cappuccino, den sie mir morgens serviert. Plötzlich sagt eine Stimme: »Für mich einen Sambuca … Und was darf es für die Herrschaften sein?« Unvermittelt entfernt sich Imma, und es kommt mir vor, als legte sich plötzlich eine eisige Kälte auf mein Gesicht.
    Wie benommen hole ich weitere Bierflaschen aus dem Kühlschrank und stelle sie in den Kasten. Als ich aufstehe, tanzen leuchtende Punkte vor meinen Augen, und der Kopf dreht sich mir, aber ich bin so leicht, so schwerelos. An einem einzigen Abend habe ich die beiden Gesichter der Liebe kennengelernt, dabei bin ich doch erst sechzehn! Ich hebe den Kasten auf die Schulter und merke, dass mir etwas von der Stirn tropft, und es handelt sich nicht um Schweiß. Ich sehe, wie Imma mit teilnahmsloser Miene die Gäste bedient, die sich wieder vor der Theke drängen. Ich schaue ihren gelähmten Ehemann an, der auf der Kasse herumtippt. Auch er fixiert mich, während ich mir mit dem Ärmel übers Gesicht wische, und ich sehe ein aufmunterndes Lächeln auf seinen Lippen.
    »Braver Junge«, sagt er, »du bist einer, der wirklich zupackt.«

16
    Auf dem Heimweg vom Patriarca war ich lange unter Renatas Fenster stehen geblieben, und als ich zu Hause war, hatte ich mich bemüht, Schlaf zu finden - aber wie hätte ich einschlafen können nach all dem, was mir widerfahren war? Und doch stand ich am nächsten Morgen früher auf als sonst. Ich wollte in der Bar vorbeischauen und Imma sehen, bevor ich in die Kirche ging. Ich wollte mir alles nehmen, was das Leben mir bot. Stattdessen grüßte mich Imma kaum, und was Renata betraf, so rannte ich nach dem Ende der Messe vom Chor herunter, um ihr zuzuwispern: Ich warte auf dem Friedhof auf dich, doch sie würdigte mich keines Blickes. Klar, die bebrillte Mutter und ihr Vater, der Maresciallo, standen hinter ihr, aber irgendein Zeichen hätte sie mir doch geben können. Also machte ich mich mit der Befürchtung auf den Weg, dass sie mich womöglich schon wieder vergessen haben könnte. Minuten später kam sie. Ich erkannte ihre Silhouette bereits von Weitem durch das gotische Zierwerk der Gittertür und ging ihr entgegen. Wir blickten uns in die Augen. Dann nahm ich sie bei der Hand, und wir liefen glücklich zwischen den Gräbern herum. Ich küsste sie, gegen das Grabmal von Dante Amilcare

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