Ferne Verwandte
des Tages nur noch in Erwartung der Morgendämmerung mit ihren Wundern im Viehstall. Aber auch dieser Zauber verlosch.
Es geschah an jenem Morgen, an dem die Nachtigall mich endlich selber melken ließ. Erfüllt von einer Mischung aus Erregung, Angst und Widerwille - diese tierischen Euter lösten doch ein wenig Ekel bei mir aus -, schloss ich die Finger um eine der hochempfindlichen Zitzen, und für einen Augenblick durchströmte mich dasselbe Gefühl von Glück und Befriedigung wie in der Nacht mit Tea. Ja, ich war sogar noch glücklicher - wahrscheinlich, weil ich nichts Schlimmes machte, nichts, wofür ich bestraft werden müsste, ich molk schließlich nur eine Kuh. Aber genau das ließ mich in die größte Gleichgültigkeit stürzen, weil mir plötzlich bewusst wurde, welches Ergebnis mein Hantieren zeitigte, nämlich nur die kümmerlichen paar Milliliter schaumiger Milch.
So schlief ich von jenem Tag an länger in meinem kleinen Sarg, und auch die Tatsache, dass ich mich am Morgen nicht waschen musste, war nicht mehr so etwas Tolles. Meine Haare waren verdreckt, und es juckte mich überall, mal abgesehen von dem Gestank, den ich ausströmte, und ich begann mich nach der Schrubberei in den Bottichen meiner Tanten zurückzusehnen. Und wenn ich dann unter Faustos Baum auch mein großes Geschäft erledigte,
war es nicht wie zu Hause mit den geheimnisvollen Rohrleitungen. Hier sah man genau, wo es landete, und ich hatte schnell begriffen, woher der andere Gestank kam. Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht in die Kacke trat, die Genuario, Vitina und Fausto hinterlassen hatten. Da war sie, direkt neben dem Salat, wie ekelhaft! Irgendwann wählte ich einen anderen Baum und stieg zum Brunnen hinunter, und es erschien mir selbst unglaublich, aber mit diesem frischen, wenngleich sumpfig stinkenden Wasser wusch ich mich sogar unter den Achseln. Um mich herum schlugen die Buchfinken, und die Sonne wärmte mir die Haut, während ich wieder zum Bauernhof hinaufging. Ich trank den falschen Cappuccino zum falschen Buondì, streckte mich friedlich unter dem Baum aus und beobachtete, wie Vitina die Kannen auf den grauen Lieferwagen lud, während ihr Herr Gemahl auf der Treppe zur Eingangstür saß und eine Zigarette rauchte - den ganzen Tag über machte er nichts anderes, und wenn sie fertig war, fuhr ich mit ihm die Milch ausliefern.
Wir brachten sie in das Dorf im Tal. Mitten hindurch floss ein Fluss, und an beiden Ufern standen hinter dicht belaubten Buchen so imposante, von Dachgauben gekrönte Häuser, dass es gar nicht wie ein Dorf aussah. Als wir stehen blieben, lud ein Riese mit einer gelben Plastikschürze die Kannen ab. Dann überquerten wir wieder die Allee und gingen in eine Bar. Genuario bestellte sich einen Espresso, und ich aß ein Eis und betrachtete die supermodernen Chromteile der Espressomaschine, die auf Spiegel geschriebenen Preise, die Gäste, die Zeitung lasen und mit einem Akzent diskutierten, der sich von unserem unterschied, dann den brummenden Verkehr hinter der Fensterscheibe, und es war, als wäre man in einer echten Stadt, in so einer, wie ich sie aus dem Fernsehen kannte. Jeden Tag lief das so, mit einer Ausnahme.
»Es ist Donnerstag, Markttag.« Das war einer der beiden einzigen Sätze, die der Pächter im Laufe einer ganzen Woche zu mir sagte. Zunächst machten wir ebenfalls an der Bar halt. Aber den Espresso trank er im Stehen, und ich nahm mein Eis mit ins Auto,
und sobald wir am Ziel eingetroffen waren, lud er, im Gegensatz zu sonst, die vollen Kannen selbst ab und die leeren Kannen auf. Dann kam er zusammen mit einer kleinen Frau mit brünettem Krauskopf wieder heraus. Sie ging durch die Tür neben dem Milchladen, während er an den Lieferwagen herantrat, um den zweiten Satz der Woche zu sagen: »Warte, ich bin gleich wieder da.« Nach höchstens zehn Minuten kam er mit seinem phlegmatischen Gang zurück, setzte das Auto in Bewegung und drosselte genau vor dem Marktstand, hinter dem der Riese mit der gelben Schürze stand, das Tempo. Der Riese fragte: »Alles in Ordnung, Genuà?« Der nickte und beschleunigte wieder. So ging es, bis er einmal etwas länger brauchte und ich ausstieg und zum Fluss hinunterging.
Ich fragte mich gerade, wo all dieses Wasser hinfloss, da hörte ich eine Art Klagelaut, ähnlich dem dieser Katzen, die einen nachts nicht schlafen lassen, weil sie, wie Nonnilde mir erklärt hat, unter Verdauungsstörungen leiden. Aber der Anblick des Gerölls in der
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