Ferne Verwandte
Räuber miteinander austauschen, wenn sie sich im Foyer einer Bank treffen, bevor sie dieselbe ausräumen. Plötzlich fühlte ich mich schwerelos, als hätte eine Stichflamme die Materie meines Körpers verbrannt und mich in reinen Geist verwandelt - na ja, so rein nun auch wieder nicht -, und am nächsten Morgen stand ich um acht Uhr vor der Pension Miramonti.
Nicht dass es besonders bequem wäre, auf dem Klappsitz eines Spider zu hocken, aber in einem Auto dieser Klasse herumzukutschieren, war an sich schon ein Vergnügen - zumal Charles mich irgendwann ans Steuer ließ. Es war Oktober, ein milder Oktober. Ich hatte, wie man so schön sagt, die Sonne im Gesicht und die Haare im Wind, und angenehme Ahnungen im Kopf hatte ich auch - bald würde ich Amerikaner sein, das fühlte ich. Aus dem Radio kamen beschwingte Schlager, und alle Leute drehten sich um und blickten uns nach, ich weiß nicht, ob wegen des Mercedes oder wegen Jenny, die hinter der abgedunkelten Windschutzscheibe wie eine Fata Morgana wirken musste. Auch ich betrachtete sie. Hin und wieder
ließ ich meinen Blick auf die Spalte zwischen ihren Brüsten und auf ihre langen Beine fallen und dachte zurück an dieses gewisse Lächeln.
Die erste Etappe war Bari. Am Nachmittag hörten Jennifer und ich zu, wie Charles über mittelalterliche Mystiker referierte; die übrigen Konferenzbeiträge fanden wir aber langweilig. Charles nicht, er war ganz in seinem Element - schließlich war er deswegen hierhergekommen. Zerstreut verabschiedete er uns, als Jenny ihm mitteilte, dass wir einen Bummel durch die Altstadt machen würden. Wir sprachen nicht viel miteinander: In Amerika hatte man die italienische Mode entdeckt, und sie wollte offensichtlich eine schöne Auswahl importieren. Ich ging hinter ihr her, trug ihre Pakete und wunderte mich, wie viel Geld man in nicht einmal einer Stunde ausgeben kann, und das, ohne eine einzige Lira hervorzuziehen - sie zahlte alles mit Kreditkarte: Es war das erste Mal, dass ich so etwas sah. Mit noch mehr Verwunderung erfüllte mich allerdings die Intimwäsche, die sie sich im letzten Geschäft aussuchte. Keine der Frauen, die ich gehabt hatte, hätte sich Derartiges leisten können, und sie hatten mir trotzdem gefallen. Als ich aber jetzt beobachtete, wie ihre schlanken Finger die Weichheit der Seide testeten, und ich sie mir in diesen hauchzarten fleischfarbenen, perlgrauen oder schwarzen Slips aus Spitze oder Ramagé vorstellte, außerdem in diesen Bandeau-, Bügel- oder Balcony-BHs, stieg mir das, obwohl ich auf meine Füße starrte, tatsächlich zu Kopf. Charles war immerhin meine einzige Hoffnung, und bei all den Frauen, die es gab, konnte ich es mir da erlauben, mich ausgerechnet bei seiner danebenzubenehmen? Nein, es bestand nur die Gefahr, in die Rolle des üblichen italienischen Verwandten zu verfallen, der selbst die allernormalste Bezeugung von Zuneigung misszuverstehen imstande war, und das war ein Risiko, das ich nicht eingehen wollte. Als wir also das Geschäft verließen und sie sich fröhlich bei mir unterhakte, versuchte ich, dem verwirrenden Kontakt mit ihrem Busen keine Bedeutung beizumessen, was mich einige Mühe kostete, denn bei jedem kleinsten Hindernis - einem Bordstein oder
einem Auto, das abbremste, um uns über die Straße zu lassen, denn jeder wäre stehen geblieben, um einer solchen Schönheit Vortritt zu gewähren -, drückte sie sich an mich.
Vor einer Bar, die mir besonders elegant erschien, fragte ich sie: »Gehen wir etwas trinken?« Ich wurde ansonsten freigehalten, und da ich, bevor ich ohne jede Vorwarnung abgefahren war, Onkel Teodorinos Portemonnaie geplündert hatte, konnte ich ihr getrost einen Aperitif spendieren. Um diese Tageszeit hätte ich ein Peroni getrunken, höchstens einen Amaro Lucano, aber um nicht unangenehm aufzufallen, bestellte ich nach ihrem Vorbild einen Martini, und als der rothaarige Kellner die Gläser vor uns abstellte, kippte ich ihn mit Genuss hinunter.
Jennifer dagegen hatte kaum daran genippt, als sie auch schon eine angewiderte Grimasse schnitt und sagte: »Ich hatte doch einen Martini bestellt!«
»Das ist ein Martini, Signora«, erwiderte der Rotschopf ungehalten.
Sie lachte ihm ins Gesicht. Dann sah sie mich fragend an, und in diesem Moment kam mir, ich weiß auch nicht, warum, der alte Vater von Humphrey Bogart in Sabrina in den Sinn, ein Magnat und eben Martini-Fan. Also erläuterte ich dem dienstbaren Geist, dass die Signora eigentlich einen »Martini
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