Ferne Verwandte
mich. Er wollte, dass ich würde, was mein Vater gewesen war - denn sein Sohn und sein Enkel waren gescheitert. Ich würde ihn sicher nicht enttäuschen, also legte ich mich ins Geschirr.
Den ganzen Vormittag verbrachte ich damit, die Bände zu durchblättern, um zu entscheiden, mit welchem ich anfangen würde, aber so sehr ich auch versuchte, sie interessant zu finden und den von einigen Titeln suggerierten Reiz aufzuspüren - The Poetry of Finances etwa oder Money: Inspiration and Attraction -, sie wirkten
wie absolute Langweiler auf mich. Vor allem wurde mir - und das deprimierte mich wirklich - bei näherer Untersuchung klar, dass ich nicht die Bohne verstand, vollgestopft mit Diagrammen und mathematischen Formeln, wie sie waren. Während ich mich in jeder erdenklichen Weise bemühte, wanderten meine Gedanken in ganz andere Sphären: Ich dachte an Cybill, daran, wie sehr ich sie liebte und wie das möglich war, wo wir doch nur wenige Minuten zusammen gewesen waren, und daran, dass ich sie nie wiedersehen würde. Außerdem schickte ich ein Telegramm an Nonnilde, in dem ich sie über meine hervorragende Stellung in Kenntnis setzte und sie um Verzeihung bat, wohl wissend, dass sie mir diese niemals gewähren würde. Ich rief auch noch mehrmals bei Apache an, doch jedes Mal nahm seine Mutter ab, und beim x-ten Versuch sprach ich sie an: Ihr Sohn war wieder abgereist, wohin, wusste sie nicht, und ich, was sei aus mir geworden? Ich täuschte eine Störung in der Leitung vor und unterbrach die Verbindung.
So verging eine ganze Woche, eine Woche grausamer Angst. Nachdem ich es mir so sehr erträumt hatte, war ich nun endlich in New York, und statt mein Leben zu genießen, wie ich es mir vorgenommen hatte, pendelte ich stumpfsinnig zwischen Wohnung und Büro hin und her. Bald würde mich Onkel Richard zu sich rufen, nach einer kurzen, gereizten Befragung feststellen, dass ich mich absolut nicht für die Finanzwelt eignete, und mich zweifellos dorthin zurückschicken, wo ich herkam - und wo man mich in keinem Fall wieder aufnehmen würde. In der Nacht erwachte ich aus diesem Albtraum, der mich so sehr quälte, dass ich die Bücher ab sofort auch mit nach Hause nahm. Leider waren sie das beste Schlafmittel - kaum hatte ich sie aufgeschlagen, klappte ich über ihnen zusammen. Wenn der Weg zum Erfolg über diese Seiten führte, tja, dann würde ich ihn niemals zurücklegen.
Bis eines Morgens das Telefon läutete. Es war das erste Mal, und als ich den Hörer abhob, konnte ich mein Herz pochen hören. ›Da hast du die Bescherung! Das ist Onkel Richard, und du hast von nichts eine Ahnung‹, sagte ich mir.
Es war mein Vetter Charles, zum Glück. Er befand sich auf Saint Barthélemy in den Flitterwochen, war aufgekratzt und entspannt und sagte: »Bevor ich abgefahren bin, habe ich dein Bild gesehen: Es ist das schönste Geschenk, das ich bekommen habe, dank dir, Vetterchen … Und du, wie geht’s dir? Ich weiß, dass du untergekommen bist.«
»Ja, untergekommen … Charles, ich befürchte, dass diese Arbeit nichts für mich ist«, antwortete ich betrübt.
»Was läuft denn nicht?«, schnaubte er, aber kaum hatte ich ihm von Onkel Richards Büchern und meiner Unzugänglichkeit für die Gesetze der Hochfinanz erzählt, da prustete er auch schon los. »Ach was, er hat in seinem ganzen Leben noch kein einziges Buch gelesen«, sagte er. »Worüber sollte er dich schon ausfragen? Sei unbesorgt, er hat sie dir nur geschickt, um sich wichtig zu machen. Was Großvater will, was er immer gewollt hat, ist jemand, auf den er zählen kann, einer aus der Familie, der an seiner Seite arbeitet. Versuch, du selbst zu sein, und du wirst schon sehen, dass er das zu schätzen weiß … Die Bücher, hör auf mich, die wirf zum Fenster raus.«
Einige Zeit nachdem er sich verabschiedet hatte, hielt ich noch den Hörer in der Hand. Ganz richtig hatte ich es nicht verstanden, doch wer könnte Richard Di Lontrone besser kennen als Charles? Die Bücher warf ich natürlich nicht weg, aber am Abend machte ich mich endlich auf, um New York zu erkunden. Ich bediente mich eines Reiseführers und bummelte durch die schicksten Lokale. Es war alles so unglaublich, inmitten dieser Leute - den buntesten, die ich je gesehen hatte -, auch wenn ich jedes Mal deprimiert nach Hause zurückkehrte. Wie sehr ich mich auch bemühte, Anschluss zu finden, blieb ich doch immer allein. Ich kam mir wirklich wie ein Tourist vor.
Im Büro las ich jetzt wieder Romane, die
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