Ferne Verwandte
dir ja gesagt: Sie ist flatterhaft und geht keine Verpflichtungen ein.«
»A propos Verpflichtungen … Verpflichtungen, die du mir gegenüber eingegangen bist. Ich habe mit Onkel Richard gesprochen, und es war nicht gerade ein tolles Gespräch, ein paar Minuten höchstens. Ach ja, und beim Weggehen hat er mir viel Glück gewünscht. Wie schön, dass es große Pläne für meine Zukunft gibt: Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir für deine Bemühungen danken soll, mein lieber Vetter!«
»Ach was. Ich hab dir doch gesagt, dass er ein bisschen bärbeißig ist. Es geht alles in Ordnung, du wirst schon sehen.«
»Das glaube ich nicht. Morgen fliege ich zurück nach Hause.«
»Du spinnst ja … Es geht alles in Ordnung, sage ich dir. Wo ist er? Das regeln wir gleich.«
Ich zeigte Charles, wo er stand, auf der anderen Seite des Saals nämlich.
»Warte hier auf mich, ich bringe ihn dir sofort her.«
Er trank einen letzten Schluck und torkelte ihm entgegen, aber im schönsten Augenblick, als er fast bei ihm angelangt war, wich
er nach links aus. Zu allem Überfluss war mein Vetter Charles auch noch ein Trottel. Ich drückte den Rücken durch und steuerte schweren Herzens auf den Ausgang zu - was hätte ich sonst tun können? -, als sich ein bleicher, hagerer Typ vor mir aufpflanzte und mir mit einer freundlichen Kopfbewegung ein Kuvert überreichte. Sobald ich allein war, öffnete ich es und las ungläubig den Inhalt.
Onkel Richard erwartete mich am nächsten Morgen um Punkt neun Uhr in seinem Büro.
26
Man konnte sich wie eine Mikrobe vorkommen, wenn man die riesige marmorne Eingangshalle des Wolkenkratzers an der nördlichen Seite der Wall Street, den Sitz der Lontrone Corporation , betrat. Ein pneumatischer Aufzug schoss mich hinauf in den vierundzwanzigsten Stock, und eine knochige Sekretärin führte mich schnellen Schrittes in ein vollständig mit Eichenpaneelen verkleidetes Büro von den Ausmaßen einer ganzen Wohnung. Onkel Richard saß am großen Schreibtisch, hinter sich ein Fenster, das einen bedeutenden Ausschnitt des Stadtbildes einrahmte; es wirkte verschwommen, als wäre es in eine himmelblaue Flüssigkeit getaucht. Mürrisch hob er den Blick.
» Good morning , Zio Richard«, begrüßte ich ihn, aufgeregt wie ein ABC-Schütze am ersten Schultag.
Wortlos fixierte er mich einen Augenblick. Auch ich starrte ihn wortlos an, während sein Körper erbebte und sich die Grimasse, zu der er den Mund verzog, für ein schallendes Gelächter öffnete, das mich schlimmer traf als eine Ohrfeige. Was hatte ich denn so Komisches gesagt?, überlegte ich und fühlte mich so gedemütigt, dass ich beinahe auf dem Absatz kehrtgemacht hätte, als ich hörte, wie er mich aufforderte: » Sit down .«
Das war das Einzige, was er an diesem Tag zu mir sagte. Dann brüllte er »Randolph!« in eine Sprechanlage, und an der Tür erschien derselbe bleiche Typ, der mir am Abend zuvor das Kuvert überreicht hatte. Er fing an, ihm einen ganzen Schwall an Befehlen zu erteilen, und in diesem Moment begann der Sessel unter mir
zu schweben: Soeben war ich in die Lontrone Corporation aufgenommen worden! Ich versuchte, keine Miene zu verziehen, doch ein kleines blödes Grinsen drückte mir die Lippen auf - nichts im Vergleich allerdings zu den Luftsprüngen, die ich hätte machen mögen. Schließlich wurden wir mit einer barschen Kopfbewegung verabschiedet. Draußen entfuhr Randolph ein dramatischer Seufzer, und ich folgte ihm drei Etagen tiefer durch einen open space , der proppenvoll war mit in ihre Arbeit vertieften Angestellten, bis hinein in ein Büro, das weniger groß war als das des Onkels, aber dieselbe Holzverkleidung und denselben Ausblick hatte. Beim Eintreten bemerkte ich, dass sich uns eine Rothaarige im grauen Kostüm angeschlossen hatte, die eine kleine Mappe an sich presste. Randolph riss sie ihr aus der Hand, zog einige Blätter heraus, legte sie mit seinen langen zittrigen Fingern auf den Schreibtisch und deutete auf die Zeile, in der ich unterschreiben sollte.
Es handelte sich zweifellos um meinen Einstellungsvertrag. Da ich nun schon einmal da war, versuchte ich, ihn zu überfliegen, doch sobald mir die fettgedruckte Zahl, die dem Gehalt entsprach, in die Augen sprang, unterschrieb ich blitzschnell, um jede Eventualität, die mich daran hindern könnte - ein Erdbeben, ein Feuer oder, schlimmer noch, ein plötzlicher Sinneswandel meines Onkels -, zu bannen.
» Congratulations «, sagte Randolph prompt. »
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