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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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wenn ich daran zurückdenke, lief mir die Sache tatsächlich ein wenig
aus dem Ruder, zumal das Beispiel für das Auditorium denkbar ungeeignet zu sein schien, aber es war eben das Erstbeste, das mir einfiel. »Folglich halte ich«, endete ich hochtrabend, »auch wenn wir Handschellen für den üblichen Gebrauch in der Justiz noch als absetzbare Ware in Betracht ziehen wollen - aber auch dies sollten wir nur theoretisch tun, angesichts des geringen Abnutzungsgrades, dem der Stahl unterworfen ist, und angesichts der Jahre, die ins Land gehen werden, bis man bei der Polizei die Vorräte aufgebraucht haben wird -, folglich also halte ich die Erzeugnisse der Firma Presidium aus Minnesota eindeutig für nicht marktgängig.«
    Grabesstille folgte auf das Ende meiner Ausführungen, und sogleich beschlich mich der Verdacht, den größtmöglichen Scheiß dahergeredet zu haben. Die Sorge, die ich empfand, war jedoch nichts im Vergleich zu dem Ausdruck echter Angst, der sich, wie ich sehen konnte, auf die Gesichter meiner Managerkollegen legte, sobald Onkel Richard das Wort ergriff, und ich verwende hier noch einen Euphemismus: Tatsächlich fing er nämlich zu brüllen an. Er kanzelte jeden Einzelnen von ihnen ab, und keiner tat, während er persönlich gedemütigt wurde, auch nur den Mund auf. Fehlte nur Millets Angelus an der Wand, sonst hätte ich vermeint, zu Hause am Esstisch zu sitzen: Der Stil meines Onkels war mit dem von Nonnilde beinahe identisch. In seinen Worten spürte ich dieselbe Energie, dieselbe Unerbittlichkeit und auch dieselbe Schläue. Ich hätte seine Arroganz verabscheuen müssen - wie ich die Arroganz der Großmutter verabscheute -, doch hinter jeder Beleidigung, die er an die anderen richtete, war mit wachsender Deutlichkeit ein Lob für mich, den Neuankömmling, herauszuhören. Als er am Ende meinen Blick suchte, um mir zu bedeuten: Siehst du, wie man das macht? - genau wie Nonnilde nach ihren die Mahlzeiten begleitenden Wutausbrüchen in den Jahren, in denen ich ihnen noch irgendetwas für mich Positives abgewinnen zu können glaubte -, nickte ich respektvoll und handelte mir etwas ein, was wie ein Lächeln aussehen mochte. Dann stand er auf, und auch die anderen erhoben sich. Er nahm mich am Arm, und aus der Art, wie er ihn
drückte, schloss ich mit Sicherheit, dass ich mir in sein hartes Herz eine Bresche geschlagen hatte, auch wenn ich, sobald wir draußen waren, begriff, dass man bei ihm - auch darin ähnelte er Nonnilde - immer in Deckung bleiben musste.
    Ich war dermaßen glücklich, dass ich die vereidigten Wachleute am Eingang freundlich grüßte. »Diese Leute werden nicht beachtet«, rüffelte er mich und warf mir einen vernichtenden Blick zu, der mich erstarren ließ, und dies war die erste einer unendlichen Reihe von Regeln, die mir auferlegt werden sollten.
    Zehn Minuten später saßen wir an einem anderen Tisch, einem Tisch in einem ausgesprochen exklusiven Restaurant, und Onkel Richard kostete den Wein, den der Sommelier ihm eingeschenkt hatte. Mit einem kaum wahrnehmbaren Zeichen signalisierte er Zustimmung. »Es gibt nichts Besseres als einen guten Château Margaux«, rief er dann und studierte die Farbe im bauchigen Glas.
    Ich konzentrierte mich darauf, dem Geschmack auf den Grund zu kommen, aber mein Gesichtsausdruck war offenbar nicht übermäßig begeistert - es ist eben ein heikler Wein.
    Onkel Richard lächelte vor sich hin und sagte: »Man sieht sofort, dass du ein ehrlicher Junge bist. Aber Ehrlichkeit wird sparsam dosiert! Gib nie zu erkennen, was du wirklich denkst, das musst du lernen«, und er legte los mit einer Liste von Fähigkeiten und Regeln, die notwendig waren, um sich im amerikanischen Kapitalismus behaupten zu können, eine Aufzählung, die Mut, Beharrlichkeit und Intelligenz umfasste - »Auch wenn manchmal ein Dummkopf mehr Intuition hat: Das ist bei dir nicht der Fall, damit wir uns recht verstehen, aber die Intuition gehört zu den wichtigsten Gaben.« Je länger er redete, desto mehr löste sich sein New Yorker Akzent auf. »Und dann vor allem Entschlossenheit. Du kannst den größten Blödsinn behaupten, wenn du es nur mit der nötigen Entschlossenheit tust. Pass außerdem auf, dass du mit den richtigen Leuten verkehrst, das ist vielleicht die erste Regel. Es ist sehr wichtig. Jetzt bist du in Amerika und musst mit Amerikanern Umgang pflegen. Sobald jemand beschließt, aus Italien hierherzukommen,
heißt es: Schluss, aus, Amen, sonst leckt man sich den Rest

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