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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Landsmanns Chuck March vor sich sah. Der war geradewegs aus Spring Town am Lake Michigan eingetroffen, dem gemeinsamen Geburtsort, wo man noch bei der Erinnerung an die Großtaten dieser beiden Nichtsnutze
lachte. March, der im Fernsehen von der Revolte gehört hatte, aber vor allem von den damit verbundenen Orgien, war als notorischer Gammler per Anhalter bis nach Berkeley gefahren, um sich dort, auf die Gastfreundschaft seines alten Freundes vertrauend, etwas umzuschauen. Und Hermann, der nichts auf der Welt weniger wünschte, als dass Chuck ihm in die Quere kam, zumal er ihm fabelhafte Märchen über seine Einkünfte verklickert hatte, blieb nichts anderes übrig, als ihn hereinzulassen. Chuck tat so, als merke er nichts, und richtete sich in dem elenden Quartier häuslich ein.
    Die wenigen Male, die sie sich über den Weg liefen, begegneten sie sich gegen Mittag, wenn auch der spätere J. Stewart Sheffield, von seinen wilden Nächten betäubt, aufstand und Chuck ihn über das informierte, was auf dem Campus los war - und es war einiges los. Am allerseltsamsten war, dass Chuck March, der einfache Bewohner von Spring Town, Illinois, der in den Massenkundgebungen eine natürliche Bühne für seine angeborene Geltungssucht gefunden hatte, irgendwann zu einem Anführer der Bewegung geworden war. Hochgewachsen, mächtig gebaut, mit Rauschebart und orakelhafter Ausdrucksweise hatte er, eine Art vom Berg Ararat herabgestiegener Noah, die extremsten und extravagantesten Vorschläge unterbreitet und die Studenten damit beeindruckt - vor allem die Studentinnen, die er in großer Zahl vernaschte -, und während er Hermann prustend davon berichtete - für ihn war es nur ein weiteres Abenteuer, über das er bei einer guten Flasche Whiskey erzählen würde, wenn er, was er bald zu tun beabsichtigte, an die Gestade des Lake Michigan zurückkehren würde -, hatte er folgende Idee: Sie würden eine Hymne für diese Schafsköpfe von Rebellen komponieren und sich dann darüber amüsieren, wie alle sie sangen.
    Es brauchte die Dauer eines Frühstücks, und schon waren sie zufrieden. Sie stellten die absurdesten Sätze zusammen, die ihnen in den Sinn kamen, und achteten nur darauf, dass sie immer und in jedem Fall mit strike oder revolution endeten, und zwei Abende später, als der Nachtklub, in dem Goering arbeitete, geschlossen
hatte, präsentierten sie sich zusammen auf dem Campus. Das einzige wirkliche Problem war, einen Namen für den Barmusiker zu finden, weil sein eigentlicher das Missfallen der Demonstranten erregt hätte, und man brauchte auch etwas, was die Phantasie stimulierte. Beim Durchblättern einer Studentenzeitung hatte Chuck gelesen, dass die blutigsten Streiks der Geschichte in der Arbeiterstadt Sheffield stattgefunden hatten, und da James Stewart sein Lieblingsschauspieler war - wie im Übrigen der meisten Amerikaner -, hob er J. Stewart Sheffield aus der Taufe. Ein kluger Kopf war er schon, keine Frage, nur schade, dass er so wenig Gebrauch davon machte. Als sie an die Reihe kamen, fand sich der arme Hermann, der sich nach einem natürlichen Moment der Verwirrung bei der Ansage seines neuen Namens mit einer Dobro-Gitarre den Weg durch die skeptische Menge der Demonstranten gebahnt hatte, allein auf der Bühne wieder. Der frischgebackene Sheffield wartete vergebens, dass sein mehrfach aufgeforderter Freund an seiner Seite auftauchte, raffte sich schließlich auf und legte, trotz des Pfeifkonzerts alleine los. Er hatte eine saubere Intonation - nicht zufällig hatte er bei Childlike Voices from Illinois gewonnen - und das erforderliche Äußere. Die Mädchen verschlangen ihn mit Blicken, und beim Song stimmten, obwohl der Text echter Blödsinn war, immerhin Musik und Rhythmus. Trotzdem hätte er sich bestenfalls einen freundlichen Applaus verdient, wäre nicht in der Zwischenzeit die Polizei in die Große Aula eingedrungen und hätte angefangen, auf die Demonstranten einzuprügeln, und wären nicht - vor allem - diese dramatischen Bilder gefilmt und von den Fernsehsendern in die übrigen Bundesstaaten verbreitet worden.
    Dass Stewart ein Scheinwerfer direkt in die Augen gerichtet wurde und er trotz der ursprünglichen, vom studentischen Geist geprägten Zielsetzung vollkommen auf seinen Auftritt konzentriert war - es war ja das erste Mal seit den Zeiten des Childlike , dass er vor einem so großen und anspruchsvollen Publikum auftrat -, erklärt nur zum Teil, warum er nicht begriff, was vor sich ging. Tatsächlich

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