Ferne Verwandte
verwechselte er in seiner Eitelkeit die Schmerzensschreie
des Publikums mit Begeisterungsstürmen und sang weiter, bis ihn ein Knüppel - wahrscheinlich einer jener von der Firma Presidium aus Minnesota hergestellten Schlagstöcke, jener Fabrik also, von deren Erwerb ich Onkel Richard abgeraten hatte - zu Boden streckte und ihn im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig zum Helden und Sänger der amerikanischen Protestbewegung erhob. Sicher, am Anfang litt er ein wenig, nicht so sehr wegen des Stockhiebs - er musste eine Zeit lang eine orthopädische Halskrause tragen -, als wegen des Lebensstils, den ihm diese neue Rolle aufnötigte.
Seine Vorbilder, nicht nur in musikalischer Hinsicht, waren nämlich Perry Como, Tony Bennett und Frank Sinatra gewesen, und wie sie hätte er sich gerne in Luxus und Wohlbehagen ergangen. Stattdessen war er nun, wie sein Publikum es verlangte, zu einem Leben in Bescheidenheit verdammt, aber die Tantiemen aus Strike and Revolution , das zum Hit der Saison wurde, waren die Mühe allemal wert. Er zahlte den alten Chuck aus - der an jenem schicksalsträchtigen Abend auf einer Wiese hängengeblieben war, wo er mit der x-ten Studentin herumbumste -, was es diesem erlaubte, so weiterzuleben wie bisher, ohne zu arbeiten nämlich, und brachte das Album Strike, Revolution and Other Tales heraus, womit seine atemberaubende Karriere begann.
Jetzt jedoch hatten sich die Zeiten geändert - zu seinem Glück andersherum als im Bob-Dylan-Song: Wie er ihn hasste, diesen Dylan! -, und langsam, aber sicher hatte Stewart endlich aus der Deckung gehen können. Er fing an, sich in seinen Villen fotografieren zu lassen, die über die beliebtesten Orte verstreut waren - eines saudi-arabischen Prinzen würdig war etwa die in Aspen, durch deren Salon ein Bach rauschte -, oder an Bord eines seiner Flugzeuge, von denen aus er mit Vorliebe auf Hirsche schoss, insgeheim aber auch auf Wölfe, ja sogar auf Bären. Seine Begeisterung für die Jagd war, zusammen mit der für ausländische Automobile der Extraklasse, seine heimlichste Leidenschaft gewesen, während er in seinen Songs noch gegen das Konsumdenken und die blindwütige Zerstörung der Natur wetterte. Die mit großem Pomp gefeierte
Hochzeit mit Cybill und der damit verbundene Einzug in eine der mächtigsten Familien des amerikanischen Kapitalismus waren nur der letzte Akt der »Wende«, wie er den kalkulierten Verrat zu bezeichnen beliebte, und gleichzeitig der erste seiner gegenwärtigen Schaffenskrise: Da ihm die eigentliche Grundlage seiner »Inspiration« abhanden gekommen war und er traurig feststellen musste, dass er unfähig war, sich in jenen seriösen Sänger zu verwandeln, der er in seinen Träumen immer hatte werden wollen, verbrachte er die Tage damit, sich zusammen mit Prostituierten und Gespielinnen oder in Gesellschaft seines persönlichen Visagisten zu betrinken. Cybill hatte gesehen, wie er aus Verzweiflung weinte, weil ihm die Haare ausgingen - wo doch die wallende Mähne das Einzige an seiner Vergangenheit war, auf das er trotz allem nicht verzichten wollte. Außerdem flennte er oft aus Neid auf die alten Rivalen, die sich, im Unterschied zu ihm, immer noch im gewohnten Erfolg sonnten, weil sie zwar mit der Zeit gegangen waren, aber weniger drastische »Wenden« vollzogen hatten.
Was immer mir Cybill über Stewart erzählte, sollte mir klarmachen, wie verabscheuenswert und vulgär dieser Mann war - als ob das notwendig gewesen wäre! -, und um mir zu beweisen, welchen Fehler sie mit dieser Heirat begangen hatte. Da war nichts zu machen: Früher oder später tauchte ihr Mann in unseren Gesprächen auf - als wollte sie sich einreden, dass ihre Flucht die einzige Lösung gewesen sei, denn hundertprozentig sicher war sie sich dessen nicht. So kamen nach und nach andere Details aufs Tapet - Details aus ihrem Intimleben und wie er sie zu dieser oder jener Praktik »gezwungen« hatte. Er hatte zum Beispiel einen Porno inszeniert, sich seitlich auf einen Sessel gesetzt und ihr beim Masturbieren zusehen wollen. Oder er hatte sie mit verbundenen Augen und ans Bett gefesselt liegen lassen und war dann in der Nacht gekommen, um sie zu vögeln, und mehr als einmal hatte sie der Verdacht beschlichen, dass er nicht alleine war. Ich weiß nicht, wieso, aber schon am ersten Tag hatte ich den Eindruck, dass Cybill sich aufgeilte, wenn sie mir solche Sachen erzählte.
An jenem Morgen hatte es uns in ein kleines Café unweit des Metropolitan verschlagen,
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