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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Jesus der Praetiosa Gemma die künstlerische Inspiration aufgezeigt, der sie folgen musste.« Der Erfolg kann auch solchen Aberwitz zeitigen, insbesondere dann, wenn er sich mit solcher Wucht und Fulminanz einstellt wie in ihrem Fall. Sobald ihre Bilder fertig waren, verschwanden sie auch schon wieder, und obwohl sie ziemlich langsam arbeitete - »Die Malerei ist für mich Meditation, Gebet«, pflegte sie zu sagen -, hing
inzwischen in den Sammlungen sämtlicher Reicher ein »Praetiosa Gemma«, und reich, märchenhaft reich, war auch sie selbst geworden.
    Innerhalb weniger Monate hatte sie mehr verdient als ihr Bruder während seiner ganzen Wegelagererkarriere, hatte sich von ihrer Mutter befreit - und sie gegenwärtig in einem Altenheim untergebracht - und ihr geräumiges, kirchenartiges Domizil erworben. Zudem verfügte sie über einen Butler, einen Assistenten, einen Chauffeur - den Schwarzen, den ich mit dem Würgeengel verwechselt hatte -, und über einen Koch, auch wenn sie sich ausschließlich von Hostien und Lammfleisch ernährte, von enormen Mengen bluttriefenden Lammfleischs. Oft deklamierte sie Agnus Dei qui tollis peccata mundi , wenn sie vor einer Reihe smaragd- und rubinbesetzter, an den Heiligen Gral erinnernder Kelche saß und mit ihren spitzen Zähnen das Fleisch zerkleinerte, wobei ihr nicht selten Blut aus dem schmallippigen Mund rann. Dann sprang sie unvermittelt auf und stürmte davon.
    Etwas anderes, wonach sie verrückt war, war mein Sperma. Jede Nacht sah ich sie in mein Zimmer stürzen. Sie kniete neben meinem Bett nieder, und ich musste mich auf die Seite drehen. Mehrmals hatte ich versucht, ihr die angezeigten Variationen vorzuschlagen, aber vergebens. Ich fühlte, wie ihre eisigen Finger meinen Schwanz umklammerten, und hörte sie flüstern: » Corpus Christi. « Ich spürte, wie ihr Mund ihn ganz verschluckte, bis zu den Eiern, und dann mit letzter Anstrengung auch noch die Eier selbst, und das bereitete mir, der ich durchaus stattlich gebaut bin, eine unerklärliche Wonne - zumindest bis zu dem Tag, an dem ich ihr aus Neugierde auf ihrer Flucht nach solcher Prasserei folgte.
    Von der halb geschlossenen Tür ihres Zimmers aus sah ich im Badezimmerspiegel, wie sie sich bis zum Handgelenk die Hand in den Mund schob und sich dann mit wilder Entschlossenheit auskotzte. Jetzt war mir auch klar, warum sie trotz der Unmengen, die sie hinunterschlang, so mager blieb, und obwohl ich zu jener Zeit noch nie etwas von Bulimie gehört hatte, genügte es mir, der Übung
beizuwohnen, um zu verstehen, wie ihre Mundhöhle zu dem mir wohlbekannten Wunderwerk hatte werden können. Als ich davonlief, hätte ich um ein Haar Veronica umgerannt, die Atelierhelferin der Kotzerin. Sie wich mir aus und schenkte mir ein verschwörerisches Lächeln. Ich hatte sie einmal gefragt, ob sie wirklich so heiße wie die Heilige, die Jesus auf dem Weg zum Kalvarienberg das blutende Gesicht getrocknet hatte, oder ob ihr Gemma diesen Namen im Delirium aufgedrängt habe, so wie ich für sie eben »Christus« sei.
    »Nein, ich heiße wirklich Veronica. Aber du hast recht«, grinste sie. »Die Praetiosa hat mich bestimmt deswegen angestellt.«
    Sie kam aus einer Vorstadt in Michigan und war offensichtlich auf der Suche nach Erfolg in New York gelandet. Sie hatte Tanz studiert, ohne das Aussehen dafür zu besitzen, dann Schauspiel, ohne auch nur das Geringste von einer Schauspielerin an sich zu haben - kurz, sie war die klassische enttäuschte Provinzlerin. Veronica wohnte in einem Einzimmerapartment in der Lower East Side und musste sich schon in verzweifelter Geldnot befinden, wenn sie es mit Gemma aushielt. Nach dem glücklichen Abschluss des Sterbenden Christus - dreihunderttausend Dollar auf die Hand - hatte die Praetiosa beschlossen, ihn zu einer ganzen Serie auszubauen, und ich blieb ihr ideales Modell, vom Übrigen mal abgesehen. Während sie malte oder »betete«, bekam sie plötzliche Wutanfälle - ausgelöst vielleicht durch jene schöpferischen Pausen, die für Künstler so typisch sind -, und Veronica diente ihr hauptsächlich als Ventil. Stoisch steckte diese jede Art von Demütigung weg, und in solchen Momenten hätte man gesagt, dass ihr die Tränen unter den dick bemalten Lidern hervorquollen, auch wenn ich sie, um der Wahrheit die Ehre zu geben, niemals richtig weinen sah. Dann fasste sich Gemma wieder, und es ging weiter. Bis zum nächsten Wutausbruch. Es tat so weh, Zeuge dieser Szenen zu sein, dass ich allein

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