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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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hatte, nicht aus.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als ein glühender Katholik zu werden.

7
    Jeden Nachmittag ging ich, sobald es möglich war, in das katholische Jugendzentrum und danach zum Ministrieren. Dort blieb ich so lange, wie ich nur konnte - selbst Don Silvestro war erträglicher als die Großmutter. Die war unschlüssig gewesen: Da sie nur vor dem Tod Angst hatte, flößte ihr die Kirche, die dessen Mysterium hütete, Respekt ein - hatte sie vielleicht nicht erlaubt, dass sich zwei ihrer Kinder für ein Leben in klösterlicher Klausur entschieden? So bekam ich immerhin die Chance, einer der besonders geschätzten Ministranten zu werden. Doch nach ein paar Monaten fing ich an, merkwürdige Phänomene wahrzunehmen.
    Ich befand mich im Unterricht und widmete mich der Lösung eines Problems - irgendeiner jener entsetzlichen Textaufgaben, bei denen ein Bauer mit dreißig Eiern von zu Hause aufbricht und mit einem Schnellkochtopf zurückkommt -, oder ich saß bei Tisch und wartete mit ausgestrecktem Arm darauf, dass man sich endlich entschloss, mir den Teller zu füllen, denn jetzt war ich immer der Letzte, der bedient wurde, oder ich zog die Decke hoch, um einzuschlafen, und zwar nicht nur ohne den Trost des mütterlichen Kusses, der allen anderen Kindern zuteil wurde, sondern auch ohne jeden Ersatzkuss seitens meiner Tanten, und spürte plötzlich, wie ein Hauch mein Gesicht streifte. Die Zeit blieb stehen. Wenn Tag war, wurden die Farben lebhafter, bei Nacht die Schatten dunkler, und eine Stimme - zweifellos die süße Stimme Jesu - flüsterte mir zu, ihm zu folgen, dies sei mein Weg. Vitina hätte gesagt, ich hätte die »Berufung« erhalten. Bald darauf fing ich an, Jesus auch zu sehen.

    Eingetaucht in blendendes Licht, die Füße gezeichnet von den Stigmata, auf einem duftigen Wölkchen schwebend, ließ er sich ruckweise herab - wie mit einem Flaschenzug, den ich manchmal fast quietschen hörte - und trat auf mich zu wie auf einen jener seligen Jünglinge mit gefalteten Händen und himmelndem Blick auf den Heiligenbildchen, um mir Augenblicke unsäglicher Seligkeit zu schenken, die aber auch weitere Komplikationen für meine Existenz, welche daran bereits keinen Mangel litt, zur Folge hatten. Abgesehen von kleineren Unannehmlichkeiten - nach den Erscheinungen gelang es mir nicht mehr, tiefer in ein Problem einzudringen, aber die Mathematik war sowieso nie meine Stärke gewesen; oder ich hielt, sehr zum Vergnügen meiner Cousinen, den Teller weiter ausgestreckt, obwohl er längst gefüllt war -, befand sich meine Seele, was mich über alle Maßen belastete, im ständigen Kampf zwischen zwei gleichermaßen unwiderstehlichen Verlockungen: der Stimme meiner fernen Verwandten in Amerika und dem Ruf des spirituellen Lebens, zu dem mich der Duft des Weihrauchs und der Zauber der gregorianischen Gesänge, die zitternden Flämmchen auf dem Altar und die inspirierten Predigten des Erzpriesters immer stärker drängten. Mehr noch jedoch die Predigten der Missionare - meistens Combonianer -, die hin und wieder aus den entlegensten Weltgegenden, in die sie vorgedrungen waren, um das Wort Gottes zu verbreiten, zurückkehrten und uns ihre Schauergeschichten erzählten.
    Ich verlor mich in den Erzählungen dieser besonderen Spezies von Negromanten mit langen weißen Bärten, geflickten Kutten und Sandalen an den schmutzigen, knotigen Weltwandererfüßen, in denen sich ihre Natur vielleicht am authentischsten manifestierte. Wenn ich im Halbdämmer der Kirche ihren tiefen Stimmen lauschte, ihren Berichten über Wilde, die sich beim hämmernden Klang der Trommeln entfesselten Tänzen hingaben und so außer sich gerieten, dass sie mit den Zähnen Holz und Eisen zermalmten, lebende, ja bluttriefende Tiere verzehrten, sich mit glühenden Kohlen das eigene Fleisch verbrannten und dann, bereits völlig in den
Klauen des Teufels, ihre spektakulär »entblößten« Frauen in den höllischen Tanz hineinzogen - an dieser Stelle tauchten die großen Titten von Tea und die hüpfenden Brüste von Dolores vor meinen Augen auf -, um sofort auf die »bestialischste« Weise Besitz von ihnen zu ergreifen - welch erhabenes, perverses Geheimnis verbarg sich in diesem Adjektiv! -, wenn ich das alles hörte, verspürte ich, wie ich gestehen muss, eine Wollust, die sich nur mit der Enttäuschung messen lassen konnte, die ich empfand, wenn sich am Ende des Berichts die vom Teufel besessenen Primitiven zum Wort Gottes bekehrten. Dann jedoch

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