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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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auf allen Breitengraden Tränen auslösten, auch wenn die armen Verblichenen unter ihren amtlichen Namen völlig unbekannt waren und unbedingt ihre Spitznamen eingefügt werden mussten, welche meistens so grotesk waren, dass sie auch den einfühlsamsten Anfang, den lyrischsten Übergang und den erbaulichsten Kommentar zu verderben drohten, folgendermaßen etwa:
    Wer hätte es an jenem strahlenden Morgen des 12. April, an dem die in dieser Jahreszeit so zahlreichen Vögel zwitscherten und die Natur erneut einen Rausch an Klängen, Farben und Düften erlebte und an dem sich der liebevolle Familienvater vor seiner Haustür von seinen drei kleinen geliebten Kindern Achille, Agnese und Franchino und von seiner treuen Ehefrau Filomena Restucci (Sabbermaul) verabschiedete, wer hätte es also an jenem Morgen gedacht, dass dieser Familienvater die Straße zum häuslichen Herd mit jener verwechseln sollte, die direkt zum Herrgott ins Paradies führt, denn Herr Rocco Pinto (Ziegenbock) zerschellte in seinem blauen Fiat 1100 ausgerechnet im Abgrund unterhalb seines Hauses. Seine Klugheit, seine Großherzigkeit und seine Liebe zu Familie, Verwandten und Mitbürgern werden ewig in unseren Herzen verwahrt bleiben. Auf ein Wiedersehen im Paradies, Ziegenbock!
    Oder folgendermaßen:
    Unsere Straßen hallen noch vom Echo seiner Schritte durch die Stille der Nacht wider, in welcher er nach einem harten Arbeitstag nach Hause
zurückkehrte. Und seine Freunde haben noch die Jubelrufe im Ohr, die im Morgengrauen auf den Abschuss stolzer Beute in unseren heiligen Hainen folgten. Vergebens werden sie versuchen, seinen letzten Ruf zu vergessen, der erscholl, als die Kugel aus seiner eigenen Büchse sein junges, verheißungsvolles Leben auslöschte. Mit nur zweiundzwanzig Jahren wurde er zur letzten Ruhe gebettet, aber die Erinnerung an den Herrn Landvermesser Pasquale Romoli (Schielauge) wird auf ewig in unseren Herzen weiterleben.
    Was konnte den Leser solcher Nachrufe vom Lachen abhalten und ihn stattdessen, wie mir zugetragen worden war, zu innerer Sammlung und tiefer Erschütterung bewegen, wenn nicht die unterschiedlichsten rhetorischen Kunstgriffe, die anzuwenden ich als mein angeborenes Talent erkannte? Stolz auf meine schriftstellerische Ader, phantasierte ich über die Wirkung, die ich mit meinen düsteren Prosastücken bei meinen fernen Verwandten in Amerika, denen die Contrada soprana regelmäßig zugesandt wurde, erzielen würde; aber während ich diesen kleinen Erfolg schon als ersten Schritt zu meiner unvermeidlichen Karriere als Schriftsteller betrachtete - ein solcher zu werden war es, wonach ich nunmehr lechzte -, entging mir natürlich nicht, dass sich, kaum ein paar Nummern nach meinem literarischen Debüt, mehr als nur ein Mann bei meinem Anblick in den Schritt griff und damit ein Ritual befolgte, dessen »apotropäische« Bedeutung ich inzwischen kannte. Die Tatsache, dass ich mich mit Todesfällen befasste und noch dazu die unglücklichsten bevorzugte - die Kunst bedarf der Tragödie! -, rückte mich also in ein wenig vorteilhaftes Licht, und bevor mein Ruf als Unglücksbringer sich ein für alle Mal festigen - und sich vielleicht in einem Spitznamen niederschlagen - würde, sprach ich mit dem Professor darüber, der mir, um den lästigsten Unannehmlichkeiten abzuhelfen, von Don Silvestro zusätzlich drei Rubriken mit einer angenehmeren Thematik zuweisen ließ: »In der Wiege: Mit ihrer Geburt kam Freude in die Familie«, »Unter Orangenblüten: Sie haben ihren Traum gegenseitiger Liebe gekrönt«
sowie » Per aspera ad astra «, eine Übersicht über die Erfolge unserer Mitbürger in aller Welt.
    Gewiss ist es schwere Arbeit, und damit meine ich nicht die Mitarbeit an der Contrada soprana . Wirklich schwer ist es, mit dem Meister Schritt zu halten. Er ist ein wahrer Vulkan, ein bodenloses Fass voller Intuitionen. Immer müssen schimmelige Bücher konsultiert, alte Inschriften enträtselt und endlose Listen von Verstorbenen durchstöbert werden - das Klosterarchiv, in dem ich bereits einen Sommer in Medoros Gesellschaft verbracht hatte, barg für mich keine Geheimnisse mehr. Bis ich mir nach ein paar Jahren eines Tages, als ich mit dem Habitus des jungen Gelehrten und Schriftstellers, aber bedrückten Herzens ob meiner tausend Pflichten durch die Dorfstraßen stolzierte, eingestand, dass ich meine Altersgenossen beneidete. Sie spielten in ihren kleinen Gärten Fußball oder saßen einfach auf einer Bank und taten nichts,

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