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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Welt bestätigt worden war. Eine ganze Wand seines Studierzimmers hatte er damit tapeziert, und oft las er sie mit lauter Stimme
vor, weil er vielleicht nur so den Zweifeln entfliehen konnte, die selbst an seinen in Granit gehauenen Gewissheiten nagen mussten. Ich hörte ihm an den langen Winternachmittagen zu, und in dem fahlen Licht, das sich durch die Fenster verbreitete, konnte ich die geschwärzten Steine eines alten Taubenschlags und das makellose Azur der fernen Berge erkennen, während im Tal hin und wieder Vögel ihre Spiralen an den Himmel zeichneten. Im Frühling begannen wir dann auszugehen, um den dürftigen Spuren zu folgen, die einige der gewaltsam unterbrochenen Träume in seinem Geist hinterlassen hatten. Wir besuchten verfallene Herrenhäuser, seit Jahrhunderten verlassene Klöster, düstere Bauernkaten, vom Efeu verschluckte Kirchen und Nekropolen, die geheimnisvolle Grabsteine und Inschriften in griechischer, lateinischer und oskischer Sprache verbargen. In jener Zeit geschah es dann auch, dass ich, wie man so schön sagt, zum ersten Mal meinen Namen gedruckt sah.
    Neben all seinen mannigfaltigen Aktivitäten fand dieses Genie nämlich noch die Zeit, einen Großteil der Contrada soprana zu redigieren - das zweimonatlich erscheinende Nachrichtenblatt, das von Don Silvestro geleitet, an die Pfarrkinder vor Ort verteilt und auch ins Ausland verschickt wurde und dessen Name sich von einem Gedicht Gabriele D’Annunzios herleitete. Außer über seine wichtigsten Forschungsarbeiten zu berichten, diesen oder jenen Brauch zu erklären und eine Anthologie von Sprichwörtern und Dialektausdrücken herauszugeben, und das nun bereits in der dreihundertsten Folge, veröffentlichte der Professor auf diesen Seiten unter seinem eigenen Namen und unter dem weniger anderer Auserwählter - im Allgemeinen pensionierter Richter, Ärzte oder Lehrer - Gedichte voller herzzerreißender und dekadenter Schwermut wie das folgende:
    Verrinnende Augenblicke

    Das glühende Abendrot
Schien der untergehenden Sonne zuzulachen

Ich fühlte mich einsam
Eine Woge der Schwermut ergriff mein Herz
Und ich fragte mich
Ob es nicht um die verlorene Liebste weinte.
    Oder:
    Die letzte Rückkehr

    Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich dich verließ
Seither habe ich die ganze Welt durchstreift
Doch stets dich im Herzen getragen
Meine Heimat, wo Liebe durch Tätigsein und
Getane Arbeit an Wert gewinnt
Meine Heimat! Jetzt, da das Leben mich verlässt,
Spendet mir nur ein Gedanke Trost:
Meine Heimat! Ich kann es nicht erwarten
Meine müden Glieder
In deinen wohlriechenden Schoß zu betten.
    Im Übrigen wurde die Contrada soprana ihrer wesentlichen Bestimmung als Mitteilungsblatt gerecht, indem sie Nachrichten über das Leben der Dorfbewohner verbreitete - dortselbst, in Italien und in der ganzen Welt -, kümmerte sich aber auch um die Belange der lokalen Bevölkerung, wie aus flammenden Appellen wie dem folgenden deutlich wird:
    Wir müssen darauf bestehen, dass die Gemeindeverwaltung die notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Uhr der Klosterkirche wieder in Betrieb zu setzen. Es ist eine Schande! Vor allem wenn man bedenkt, welches Unbehagen unsere alten Menschen empfinden, die selbst keine Uhr besitzen und folglich nicht die genaue Zeit wissen können, worauf doch jeder Bürger ein Anrecht hat.
    Oder:
    Die Plage der streunenden Hunde verärgert unsere Mitbürger, vor allem nachts. Ihr Gerangel und Gebell stört die Nachtruhe. Was wäre davon zu halten, sie einzufangen und anderswo auszusetzen?
    Sicher, gelegentlich ließ die Formulierung zu wünschen übrig, doch an Engagement für den Fortschritt und die Erneuerung der Sitten mangelte es nicht:
    Nicht weniger als zwei Pfarrbüchereien stehen unserem lesebegeisterten und geschichtsinteressierten Publikum zur Verfügung. Doch wie der illustre Herr Professor Sabino Corelli feststellt, hat es den Anschein, als gäbe es in unserem Dorf keine Kultur mehr. Gewiss keinen erhebenden Anblick bieten die jungen Leute, die sich zahlreich auf der Piazza und in den Bars versammeln, um zu klatschen und zu tratschen, während doch ein gutes Buch oder ein interessantes altes Dokument dem Geist neue Horizonte eröffnen, die kulturelle Bildung bereichern und dazu beitragen könnten, dass besagte Jugend nicht mehr nur aufs Geratewohl, sondern auf der Grundlage guter und stichhaltiger Argumente diskutieren könnte.
    Das Blatt lieferte darüber hinaus Informationen über den Beginn neuer

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