Ferne Verwandte
REIFER PROVOLONE UND ANDERE KÄSESORTEN
HOCHZEITSTORTE: ein Turm mit etwa zehn Stockwerken, das Ganze begleitet vom
BRAUTPAARWEIN, der in der Regel ungenießbar ist, und
MUSKATELLERSEKT zum Dessert
Die Zeit, die benötigt wird, um diesen Segen wegzuputzen, beläuft sich auf fünf bis neun Stunden, und was man nicht essen kann - alles zu verdrücken, ist menschenunmöglich -, wird mit nach Hause genommen. Aber damit ist es noch nicht genug.
Tatsächlich folgt eine »Erfrischung«, die angeboten wird, um den erschöpften Gästen einen weiteren und letzten Trost zu spenden: zur Erholung von den endlosen Stunden bei Tisch. Zur Erholung von den wohlwollenden Trinksprüchen - jedes Familienoberhaupt ist aufgefordert, sich in dieser Kunst zu versuchen -, die, während das Fest seinem Höhepunkt zustrebt, trotz der Anwesenheit des Gottesmannes immer schlüpfriger werden. Zur Erholung von dem Fotografen, der erbarmungslos damit beschäftigt ist, das Ereignis in Hunderten von Posen und unterschiedlichsten Kombinationen zu verewigen. Zur Erholung von den ausgelassenen Tänzen, die während des Mittagsmahls zwischen den einzelnen Gängen aufgeführt und dann in jener zweiten Phase, die bis spät in die Nacht hinein
dauert, wiederaufgenommen werden. Zur »Erfrischung« gehören: ein Spaghettiessen, gemischtes Fleisch vom Holzkohlengrill und zum Abschluss ein Umtrunk - dies alles ausschließlich auf das Konto der Brautfamilie, zusammen mit einem weiteren Kostenpunkt, der die Ausgaben für die Ausstattung der Braut beinhaltet, nachdem gottlob wenigstens die Institution der Brautgabe aus der Mode gekommen ist.
Bevor jedoch Bilanz gezogen wird, muss hervorgehoben werden, dass dank einer gesunden bäuerlichen Sitte den Brautleuten statt der üblichen, oftmals unnützen Geschenke Barbeträge spendiert werden - die »Anteile« werden nach demselben System berechnet, nach dem man eine Restaurantrechnung bezahlt, also auf Grundlage der Menge der verzehrten Speisen, des Anklangs, den diese gefunden haben, der angebotenen Lustbarkeiten und der Zahl der Personen, die deren Nutznießer waren - nicht ohne Grund wird das »Kuvert« mit dem deutlich erkennbaren Namen des Spenders darauf gegen Ende des Festes in einen mit bunten Bändern verzierten Korb gelegt. Dank dieser gesunden, wenn auch unfeinen Sitte und trotz des offenkundigen Aufwands der Zeremonie kommen die Unkosten normalerweise wieder herein. Unser Fall war allerdings nicht »normal«.
Mit zwanzig Enkelinnen konfrontiert, von denen mindestens die Hälfte verlobt und im heiratsfähigen Alter war, wobei sich die übrigen nichts sehnlicher wünschten, als diesen Zustand ebenfalls zu erreichen, verfügte die Großmutter gleichwohl über nur eine einzige Einkommensquelle - die Profite ihrer Firma, der Premiata Olii Superfini . Hier lag das Problem, das sie wirklich bedrückte, und das Licht in ihrem Arbeitszimmer brannte die ganze Nacht hindurch. Wenn man sie kannte, war einem klar, dass sie bei der Vorbereitung der ersten dieser endlosen Serie von Hochzeiten vollständig von dem Gedanken absorbiert war, mit welchem Trick sie sich bei den restlichen aus der Affäre ziehen könnte. So wurde ich ganz und gar mir selbst überlassen. Nachdem ich jedoch an einem Morgen dieser ersten Sommertage aufgeregt aufs Land hinausgegangen war, dann aber von Vitina erfahren musste, dass Pit auch in diesem Sommer
nicht zurückkehren würde - er war in Nepal -, profitierte ich nicht im Geringsten von dieser Situation.
Kaum wach, lief ich noch in Unterwäsche los, um mir einen jener Filme anzusehen, die ausnahmsweise wieder am Vormittag ausgestrahlt wurden. Ohne es überhaupt zu bemerken, löffelte ich, hingerissen von den Abenteuern, die sich vor meinen Augen abspielten, die kalte Milchsuppe, die Tante Ines mir gebracht hatte. Ansonsten war das Esszimmer um diese Zeit verlassen und wurde nur vom Schein des Fernsehgeräts und den wenigen Sonnenstrahlen aufgehellt, die durch die Fensterläden sickerten, welche man nach dem Putzen zugeklappt hatte, damit die Fliegen nicht hereinkamen. Dann füllte ich, voller Begeisterung über das, was ich soeben gesehen hatte - Geschichten von Piloten, die im Dschungel am Äquator vermisst wurden, von Schiffen, die von den hinterhältigen deutschen U-Booten versenkt worden waren, von amerikanischen Marinesoldaten, die sich in Gefangenschaft bei blutrünstigen Japanern befanden -, eine grüne Kunststoffgießkanne mit Wasser und stieg, mit Heft und Bleistift
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