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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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starrte, die sich unter den Acrylpullis, den ausgefransten Jacken und den stets zu engen Mänteln teilnahmsvoll vorbeugten, genoss ich schon im Voraus den Moment, in dem ihre Besitzerinnen sie, schluchzend und bebend, an mich schmiegen und mein Gesicht darin versinken lassen würden, in stürmischen, tränennassen Umarmungen, unterbrochen von feuchten Küssen auf den Mundwinkel oder gar auf den Mund. Und obwohl mir noch die Müdigkeit der Totenwache in den Gliedern steckte und der consuolo wartete - das von engen Freunden zur Erquickung der Trauerfamilie organisierte Bankett, das mit der respektvollen Aufzählung der moralischen Stärken des Verstorbenen beginnt, um sich dann in ein feuchtfröhliches Bacchanal zu Ehren seiner menschlichen Schwächen zu verwandeln -, und obwohl ich mich als männliches Wesen nun schon zum x-ten Mal der Mühe hatte unterziehen müssen, nach Beendigung der Messe mit anderen zusammen den Sarg auf der Schulter zum Friedhof zu tragen, wo er ohne Umschweife in die Grube hinabgelassen wurde, und obwohl noch das dumpfe Geräusch der harten Erdschollen, die der Totengräber darauf fallen ließ, und die Schluchzer und Schmerzensschreie meiner Anverwandten in der Luft widerhallten, rannte ich nach Hause und sperrte mich im Klo ein: Unglaublich, was für Wichsereien jedes Begräbnis nach sich zog!
    Imma, nein, die hat mich nie umarmt, nicht einmal bei den Beerdigungen. Sie hat mich auch noch nie angelächelt. Tatsächlich lächelt sie überhaupt niemanden an, aber jetzt, da die Espressomaschine zu schnauben aufhört, streut sie mir nicht nur Kakao auf
den Cappuccino, was besseren Kunden vorbehalten bleibt, sondern fixiert mich mit demselben Blick wie weiland Pit. Seit damals, als sie etwas mit Pit hatte, ist allerhand passiert: Sie ist nach Cantù gezogen und hat Saro Merenda geheiratet, den Boxer mit der »Linken, die nicht verzeiht«, wie die Zeitungen seinerzeit schrieben. Als der Onkel starb und ihr die Bar vermacht hat, ist sie wieder hierherauf gezogen; die Karriere ihres Mannes war ohnehin zu Ende, und sie brachte fünf kleine Kinder mit, deren Mäuler gestopft werden mussten. Einige Zeit später konnte Saro Merenda einer harten Linken des Schicksals nicht rechtzeitig ausweichen und erlitt einen Autounfall, weshalb er jetzt an der Kasse sitzt - einer maßgefertigten, damit er samt seinem Rollstuhl Platz dahinter hat -, die Mütze mit dem Schottenkaro über der deformierten Nase.
    Aber heute ist es früh am Tag, und Merenda schläft noch. Tatsächlich ist die Bar voller Männer, die, mit zusammengerollter Sportzeitung unter dem Arm, gierig auf die spitzen Titten unter dem Jerseypulli seiner Frau starren, einen Espresso mit einem Schuss Anisschnaps bestellen und sich über den Tresen beugen, um ihre Beine zu betrachten - sie trägt immer noch die schwarzen Netzstrümpfe von einst, die ihren größten Trumpf zur Geltung bringen. Träge wie Hyänen belauern sie die weidwunde Löwin: Wie lange wird sie noch standhalten, bis sie sich einen Mann nimmt? Vor dem Unfall ihres Mannes pflegte sich Imma abends an einen der Tische zu setzen, und auch die Spieler der letzten Tressette -Runde ließen sich gern von ihr ablenken, wenn sie sich eine Zigarette anzündete und die Beine übereinanderschlug. Sie waren sich des Geheimnisses bewusst, das sich zwischen diesen Schenkeln verbarg. Nicht zufällig hatte Saro Merenda den Kopf verloren, dieser Protagonist des Nachtlebens von Brianza und spendables Idol der dortigen Frauenwelt, bis er in einen berühmten Skandal verwickelt worden war - die Bestinformierten im Dorf sprachen von »rosa Balletten«, und nach allem, was ich heraushören konnte, muss es sich um eine wirklich explosive Mischung aus Sex und Drogen gehandelt haben. Ihr jedoch, einer einfachen Arbeiterin in einer Möbelfabrik, war es
gelungen, ihn aus all dem herauszureißen, ohne Geld oder große Schönheit, nur mit dem Feuer, das sie zwischen diesen nervösen Schenkeln hütete.
    Jahre sind vergangen, sie hat fünf Kinder bekommen, viel Schlimmes erlebt und ist immer noch die Gleiche. Körperlich, zumindest. Was den Rest anbelangt, so hat sie sich natürlich verändert. Sie ist traurig und ständig missmutig - und das ist auch kein Wunder, denn es hat den Anschein, dass Merenda außer dem Kopf nur noch die Hände bewegen kann. Obwohl ich mich nicht an das erinnere, was Pit mir über sie erzählt hat, muss man sie nur ansehen, um zu begreifen, welchen Schaden sie durch die Behinderung ihres Mannes

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