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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Dreiviertelstunde, und die Njù Droll packten zusammen und schickten sich an, den Saal auf schnellstem Wege zu verlassen, wobei
sie die Veranstalter ignorierten, die sich, allen voran der Moderator, auf der Bühne zusammendrängten, um sich von ihnen zu verabschieden. Während sie sich den Weg durch die brav applaudierende Menge bahnten, lag Traurigkeit in ihrem Blick. Sie waren etwas ganz anderes gewöhnt, die Begeisterung der Fans nämlich, insbesondere der weiblichen Fans: Hysterie, Schreie, Autogramme. Doch hier: Fehlanzeige. Ein wenig lag das an der angeborenen Schüchternheit der Provinzler und ein wenig daran, dass es nicht nur für uns, sondern für alle Anwesenden das erste Rockkonzert war. Bestimmte Rituale werden eben erst mit der Zeit erlernt, sodass sich die Menge darauf beschränkte, sie wie Gäste anzustarren, die sich vorzeitig von einem misslungenen Fest davonstehlen.
    Und in diesem Moment passierte es.
    An der Spitze des kleinen Zuges wich Di Palo plötzlich vom Kurs ab, und, seinem Beispiel folgend, blieben die New Trolls genau dort stehen, wo wir standen. Ohne dass wir sie darum gebeten hätten, drückten sie uns die Hand, klopften uns auf die Schulter und lächelten, sagten dann etwas, was wir im Stimmengewirr der Menge, die sich um uns herumdrängte, nicht verstanden, und umarmten uns schließlich wie Brüder, die sich vor einer langen Reise voneinander verabschieden.
    Verdattert blieben wir im Saal zurück, der sich allmählich leerte. Vor allem die Mädchen folgten ihnen nach draußen. Gebannt sahen sie zu, wie die New Trolls in eine Limousine mit dicken, abgedunkelten Scheiben stiegen und wie ein Trugbild der Berühmtheit, die in keinem Verhältnis zur Bedeutungslosigkeit ihres Auftrittsorts stand, verschwanden. Vom Himmel taumelten derweil Schneeflocken herab, setzten sich auf die kunstvollen Frisuren der Mädchen und auf ihre Wimpern und lösten, zusammen mit den Tränen, die Schminke in lange schwarze Rinnsale auf. Überwältigt von der ganzen Aufregung, stürzten sie sich nun auf uns, um von uns die nächste Etappe und das Hotel, in dem die Njù Droll übernachten würden, zu erfahren, und während sie sich die unwahrscheinlichsten Verfolgungsjagden und Liebesfluchten ausmalten, rückten sie
immer näher an uns heran und blickten uns an wie niemals zuvor - und es waren Faustos Freundinnen, die sonst auf die normalen Jungs scharf waren, und die busfahrenden Schülerinnen, die immer Typen von auswärts bevorzugt hatten. Im Kontakt mit ihren Körpern und der Weichheit ihrer Brüste wurde uns rasch klar, dass wir in dieser Nacht jedes Mädchen haben könnten, und wir bekamen es.
    Unterdessen gab der geistlose Abiturient, der sich erneut vor dem Mikrofon heiser geschrien hatte, um mit melancholisch bebender Stimme die Einzigartigkeit des Ereignisses hervorzuheben - es war ja längst vorüber -, das Startsignal für das allgemeine Tanzvergnügen. In diesem Augenblick fand ich mich Renata gegenüber. Ich umschlang ihre Hüften und spürte ihre nackte Haut unter dem leichten Kleidchen, während eine aalglatte Stimme wisperte: Einem Reiher nachblicken, der über dem Fluss dahinschwebt, und plötzlich selber Flügel haben . Es war keineswegs das erste Mal, dass ich sie hörte, und ich hatte immer darüber gelacht, aber jetzt, da hinter den großen Fensterscheiben des Motel Elite die Schneeflocken herabtrudelten und ich Renata an mich drückte, glaubte ich keinen wahrhaftigeren Text zu kennen. Wie hatte mir die Melancholie der Morgenröte entgehen können, das Gefühl einer unschuldigen und poetischen Rebellion? Dies war doch, tief im Inneren, das eigentliche Lebensgefühl!
    Es dauerte so lange wie dieses ewige, unvergessliche Lied. Dann gab Renatas Vater, der Maresciallo, der unter anderem hierhergekommen war, um sie zu überwachen, und der sich außerdem dank seiner Uniform das Eintrittsgeld gespart hatte, ihr ein Zeichen. Sie sah mich mit einem stummen Versprechen an und folgte ihm. Ich hatte kaum Zeit, dem süßen Sehnen dieses Grußes nachzusinnen - in der Folge sollte ich noch lange daran denken -, da fand ich mich auch schon an Concetta Campochiaro und dann an Mara und dann an Pina Restucci geschmiegt wieder, und dann weiß ich nicht mehr, an wen sonst noch. Als auch das letzte Mädchen von Vater, Mutter, Tante oder Cousin abgeholt worden war, gingen wir hinaus
in das Schneegestöber, das die Lichter der Autos wie ein Wattebausch dämpfte. Nachdem sich Fausto verabschiedet hatte, wälzten wir

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