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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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in die steife Seide ihrer von den Dorfschneiderinnen angefertigten Kleider gezwängt, blickten sie nervös um sich, ob sich nicht irgendein schmachtender Typ von auswärts ausmachen ließ. Alle erschienen sie uns wie entrückte Göttinnen. Im
Übrigen hatten auch wir den Monat nicht ungenutzt vorübergehen lassen: Trotz der glühenden Debatten hatte jeder in der Tiefe seines Herzens längst darüber nachgedacht, was er an jenem Abend anziehen würde.
    Apache trug einen seiner rituellen Gala-Anzüge aus fransenverziertem Hirschleder - jedes Mal, wenn ich ihn fragte, wo er die alle aufgetrieben habe, gab er mir eine ausweichende Antwort. Tarcisio erschien mit der üblichen schwarzen Binde über dem Auge und der üblichen Lenin-Kappe, hatte sich allerdings von seinem Vater einen bordeauxroten Samtanzug mit Glasknöpfen nähen lassen. Ich steckte in einem von Tante Ines gestrickten und in allen Farben des Regenbogens gestreiften Maxipullover, gleich jenem, den Clementi auf dem Concerto-grosso -Cover anhatte, dazu trug ich ein entsprechend abgewetztes Cutaway-Sakko plus Zylinder, immer noch aus Großvater Carlos Kleiderfundus. Der Schweizer, im höchsten Maße unschlüssig über die passende Aufmachung, hatte Apache bis zum letzten Augenblick mit Anrufen bombardiert - er war der Einzige der Kompanie mit einem Telefon - und Fragen gestellt wie: »Was meinst du, soll ich die Ray-Ban aufsetzen?«, und ist deswegen während der ganzen Fahrt veräppelt worden. Jedenfalls hatten wir auch ihn aufs Feinste herausgeputzt. Er trug einen schwarzen Anzug von Apache mit ungeheuer vielen Knöpfen und starken Reminiszenzen an die frühen Beatles, dazu eines von Großvater Carlos kragenlosen Hemden sowie die unverzichtbaren Korallenkettchen - und mit Sicherheit machten wir Eindruck. Immerhin ließ Fausto - und ich spreche hier von einer der markantesten Persönlichkeiten der lokalen Szene! -, sobald er unser ansichtig geworden war, sogar seine Freundinnen stehen - er hätte besser gleich ein paar mitgeschleppt, dieser Scheißkerl -, um sich in seinem zinnoberroten Chenilleanzug zu unserer Gruppe zu gesellen.
    Jetzt standen wir in stolzer Abkapselung in einer Ecke, musterten, übermütig wegen der Präsenz von CalcianTour-Junior, das konventionelle Publikum, machten uns über die Klamotten des einen oder des anderen lustig - ausgerechnet wir, die wir aufgetakelt
waren wie die Komparsen eines Spaghetti-Western - und lachten jedes Mal laut los, wenn einer der Veranstalter des Abends, ein geistloser Abiturient im Smoking, in immer kürzeren Abständen zum Mikrofon griff und die unglaublichsten Plattitüden hineinhauchte: »Phantastischer Abend mit den Njù Droll, soeben zurück von ihrem Erfolg in Sanremo!«, »Sie sind im Anmarsch - Mädchen, dass ihr mir ja nicht in Ohnmacht fallt!«, »Zum ersten Mal im Süden: die fabelhaften Njù Droll, die einzigen und wahren Erben des Quartetts aus Liverpùl!« Als jedoch nach ungefähr zwei Stunden Warten - überbrückt mit den üblichen langsamen Schnulzen, denen wir uns empört entzogen - die Njù Droll durch die in zwei Flügel geteilte Menge in den Festsaal des Motel Elite einzogen, ließ uns das keineswegs kalt. Sie waren, falls das überhaupt möglich war, noch schrecklicher gekleidet als wir. Ich erinnere mich etwa an den ochsenblutfarbenen Redingote und die weißen Stiefel, die um die Knöchel von Nico Di Palo, dem Beau der Gruppe, schlabberten. Als der Schweizer Di Palos indiskutable blau getönte Ray-Ban bemerkte, maulte er: »Ich hab euch doch gesagt, dass die Ray-Ban passt! Ihr seid schon wirklich echte Blödmänner.« Ein seltsames Licht fiel auf die Njù Droll und spiegelte sich in den Instrumenten, die sie achtlos herumtrugen, und der silberne Glanz der Flöte ließ mein Herz höher schlagen. Das war das »Licht des Erfolgs«, wir erkannten es sofort, auch wenn wir es zum ersten Mal sahen. Ein Licht, so blendend, dass es sogar echte Blödmänner erleuchten konnte - und die Njù Droll waren echte Blödmänner. Sie spielten hundsmiserabel. Beim Liveauftritt machte Di Palo das Flötensolo von Ian Anderson noch ungenierter nach, und in den hohen Tonlagen, für die sie berühmt wurden, schrillten sie in einem unerträglichen Falsett herum. Aber es war trotzdem eine tolle Sache: Immerhin handelte es sich um unser erstes Rockkonzert, und nach wenigen Minuten demonstrativer Skepsis wurden auch wir vom Sog der verstärkten Klänge mitgerissen. Schade nur, dass es so schnell aus war. Kaum eine

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