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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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anzog wie beim MKπ100 des Tasso, dann definitiv nur für sie -, und jetzt hatte es genügt, dass die Tochter des Apotheker-Bürgermeisters, Internatsschülerin in Florenz und im Übrigen eine potthässliche Person ihr anvertraute, wie verrückt sie nach mir war - das hatte sie ihr zweifellos gesagt -, und schon war ihr Interesse geweckt. Ich fuhr fort mit Strawberry Fields , Black Bird und Norwegian Wood und hätte noch weitergespielt, wenn das reizende Publikum nicht zu motzen angefangen hätte - »Was soll’n das Zeug. Genug! Spiel’ne Mazurka!« - und dabei bestimmt nicht an eine Komposition von Chopin dachte. Ich sah,
wie die Einheimischen beim Tanzen ihre Hemmungen abwarfen, presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf, und sie lächelte mir zu. Eine Stunde spielte ich noch, bevor ich mir eine mehr als verdiente Pause gönnte.
    Ich bin draußen auf dem kleinen Balkon und atme tief durch. Ich beobachte, wie der Mond sich auf die Zacken der Berggipfel legt. Dann springt die Tür auf, und als ich mich umdrehe, sehe ich Renata. »Verdammte Scheiße!«, sagt sie, und von einem so spirituellen Typ würde man so etwas eher nicht erwarten. Sie fischt ein Päckchen Muratti aus ihrer Tasche und fragt mich, ob ich rauche - rauchen tut sie auch noch! Die Flamme ihres Ronson-Feuerzeugs beleuchtet ihr Gesicht, die von der Krankheit noch hervorgehobenen Bogen ihrer nerzfarbenen Augenbrauen und ihre wunderschönen blauen Treviso-Augen. Sie dreht den Kopf und bläst den Rauch kunstgerecht zur Seite aus.
    »Weißt du, dass du gut spielst? Und von den Beatles, hast du da die Noten?«
    »Ich muss mir nur ihre Platten anhören«, antworte ich von oben herab.
    »Und die Texte?«
    »Ab und zu wird mal einer in einer Zeitschrift abgedruckt. Außerdem lerne ich ja Englisch.«
    »Das lernen wir alle, aber du bist echt gut.«
    »Ich hab früh damit angefangen«, sage ich und erzähle ihr in wenigen Sätzen die Sache mit Onkel Richard.
    »Die übliche Geschichte von den reichen amerikanischen Verwandten, die sich dort als Bettler entpuppen«, sagt sie altklug.
    »Nein, Onkel Richard ist wirklich steinreich. Wenn du willst, zeige ich dir Fotos.«
    »Dann ist er wohl ein Mafioso.«
    »Nein, nein, er besitzt wer weiß wie viele Fabriken. Sobald ich meinen Abschluss gemacht habe, gehe ich zu ihm. Er hatte meinen Vater so gern, dass er mich bestimmt mit offenen Armen empfängt.«

    »Ja sicher! Jedenfalls immer noch besser, als in diesem Scheißkaff zu versauern«, sagt sie, und auch wenn es stimmt, dass es ein Scheißkaff ist, gefällt es mir nicht, dass sie das sagt. »Auch ich nehm Reißaus, sobald es geht … Schreibst du mir die Akkorde von Let It Be auf? Ich spiele Klavier.«
    »Ich weiß«, beichte ich ihr, und sie sieht mich keineswegs erstaunt an. »Wenn ich an deinem Haus vorbeikomme, bleibe ich immer stehen, um dir zuzuhören.«
    »Das ist eine fixe Idee von meiner Mutter, aber ich brauche Noten, sonst kann ich nicht spielen … Gib mir auch noch andere!«
    Sie lässt sie sich in ein kleines Notizbuch mit Goldrand schreiben, und als ich es ihr zurückgebe, nimmt sie meine Hand und sagt: »Was für große Hände du hast, richtige Pianistenhände.«
    Wir stehen dicht beieinander unter dem Sternenhimmel, und ich kann es noch gar nicht fassen, als Renata plötzlich noch näher an mich heranrückt und mir einen Kuss gibt. Sie legt den Arm um meine Taille, was sie nicht daran hindert weiterzurauchen, und reibt sich jetzt an mir. »Du bist so anders als die anderen hier. Mir war das schon längst klar, aber heute Abend habe ich die Bestätigung bekommen, du bist … du bist einfühlsam.« Während sie das sagt, beginnt ihre Hand - ebenfalls eine große Pianistenhand -, als wäre es das Normalste von der Welt, mir einen runterzuholen, und sie hätte wohl weitergemacht, wäre nicht die Tür erneut aufgesprungen. Wir fahren gerade noch rechtzeitig auseinander und schenken Alba Chiara, in deren Mundwinkeln noch Reste vom Tomatensugo glänzen, ein Lächeln. »Gebt mir auch eine Zigarette«, verlangt sie frisch-fröhlich.
    Aber wir haben unsere aufgeraucht. Ich überlege, wie viel Zeit vergangen ist und was der Maître wohl denkt, und weil jetzt Alba Chiara da ist, sage ich: »Ich würde ja gern bleiben, aber die Pflicht ruft.«
    »Ich komme mit, hier ist es so kalt«, meint Renata, und wir lassen die Bärin allein auf dem Balkon zurück.

    Während ich wieder auf der Farfisa loslege, kann ich immer noch nicht fassen, was gerade passiert

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