Fernsehkoeche kuesst man nicht
hatte schließlich schon anderes überstanden:
Die Tage, an denen er zum Beispiel nur Kartoffeln schälen durfte oder Fisch ausnehmen. Oder den Moment, als er geteert und gefedert wurde, was in der Küche bedeutet, mit Wasser und Mehl paniert zu werden.
Er berichtete davon, dass ihn der Souschef einmal bat, die Schlüssel aus dessen Hosentasche zu nehmen, weil er keine Hand freihatte. Raphael kam dieser Bitte nach und packte in eine angewärmte, rohe Niere. Den Schreck, seinem Vorgesetzten vermeintlich an die bloßen Eier gepackt zu haben, musste er erst verdauen. Aber das war nichts gegen den Tag, an dem er sich an seinem Kollegen Steve rächte, der ihm kurz vor dem Servieren schnell rohe Kartoffeln ins Kochwasser warf.
Das alles geschah während seiner Zeit in Baiersbronn. Die Gäste beschwerten sich über die harte Beilage und ließen die Teller zurückgehen, was Raphael einen Schwall schadenfrohen Gelächters seiner Kollegen einbrachte.
Wenn er mit Steve arbeitete, bedeutete das sehr häufig Ärger, weil der nicht nur Raphael, sondern auch seinem chinesischen Kollegen das Leben schwer machte. Steve nannte Lian abfällig Hop Sing, nach dem einfältigen Koch aus Bonanza, und entwendete ihm regelmäßig wichtige Zutaten, sodass Lian mit der Zeitplanung durcheinander kam. Die rohe Kartoffel war diesmal nur die Krönung vergangener Streiche, und das verlangte nach einer Revanche.
Als Steve sich das nächste Mal aufs Klo schlich, um heimlich eine Zigarette zu rauchen, opferte Raphael ein Parfait, an dessen Verfeinerung er stundenlang gearbeitet hatte. Er pürierte einige Erdbeeren und rührte sie mit extrascharfer Tabascosauce zu einem feinen Mus an, das er großzügig über das Eis goss.
Als Steve zurückkam, bot er ihm nichts davon an. Nein, dazu war er zu geschickt. Er wusste, er würde ihm bloß den Rücken kehren müssen, damit Steve sich daran zu schaffen machte.
»Lian!«, rief Raphael seinem Kollegen zu und zwinkerte. »Komm bloß nicht auf die Idee, mein Parfait anzupacken, das hat mich echt Nerven gekostet. Ich hol nur schnell noch etwas Minze.«
»Geht klar«, bestätigte Lian und wandte sich ab, damit Steve sein erwartungsfrohes Grinsen nicht sah und sich ahnungslos auf das Parfait stürzte.
Als Raphael seinen Platz in der Küche wieder einnahm, klebten die Reste des Parfaits an der Dunstabzugshaube und Lian hielt sich den Bauch vor Lachen. Von Steve war weit und breit nichts zu sehen. Er fand ihn erst eine Stunde später im Aufenthaltsraum, wilde Flüche ausstoßend. Steve musste die ganze Zeit über mit Milch gegurgelt haben, damit er überhaupt wieder sprechen konnte.
In der nächsten Zeit blieb Raphael jedenfalls von seinem Kollegen verschont, zum Leidwesen der anderen Köche, die diese Rangeleien sehr genossen hatten. Und Raphael hatte an Erfahrung gewonnen. Er sah es jemandem an, wenn er etwas ausbrütete. Von einem unschuldigen Gesichtsausdruck ließ er sich nicht täuschen. Und durch die raue Schule einer Profiküche gestählt, hatte er einen gesunden Humor entwickelt.
So leicht konnte ihn nichts mehr aus der Fassung bringen.
Kapitel 8
Mit rasend klopfendem Herzen stolperte ich rückwärts gegen den Teewagen und stieß ein Keuchen aus. Hinter der Tür hörte ich Raphael glucksen. Er hatte mich reingelegt: Er hatte mich mit seinen Wasserfarben-Augen hypnotisiert, mit seiner Schmeichelstimme eingelullt und mich dann aus seinem Zimmer geworfen.
Das war ganz schön raffiniert.
In etwa so raffiniert wie Kaa, die Schlange!, grollte ich, als ich wieder zu Atem kam. Aber ich würde ihm schon zeigen, dass ich mindestens ebenso raffiniert sein konnte wie Balu, der Bär. Äh, vielleicht nicht unbedingt Balu, überdachte ich meine Wahl und schüttelte den Kopf.
Gerade wollte ich den Gang zurück Richtung OP laufen, als die Nachtschwester mich erwischte.
»Jo? Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist zu Hause. Hast du nicht eigentlich Zustand nach Dienst ?«
»Margot!« Das fehlte mir noch. »Ich, puh, brauchte noch ein Feedback zum Narkoseverlauf. Ich bin aber sofort weg.« In nicht einmal ganz acht Stunden würde ich sowieso wieder hier sein müssen. »Lass dich von mir nicht aufhalten!«, sagte ich schnell.
»Dann einen schönen Feierabend!«
Ich bedankte mich und winkte. Aber aus mir unerklärlichen Gründen war dies der Augenblick, wo ich nicht nur meine gute Erziehung, sondern auch die vielen Jahre Studium und meinen Hippokratischen Eid völlig vergaß. Andernfalls wäre
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