Fernsehkoeche kuesst man nicht
wütend auf Raphael gewesen. Und auf Jacqueline natürlich. Aber bereits am nächsten Abend brodelte diese Wut nur einmal kurz auf, irgendwo zwischen Kloputzen und Kücheschrubben , um später ganz zu verpuffen. Ich wollte nämlich zur Abwechslung etwas für mich kochen.
Bisher hatten meine Exkursionen in dieses Metier aus drei Schritten bestanden:
1. Wasser kochen
2. 5-Minuten-Terrine aufreißen
3. Wasser hineinplätschern lassen
So konnte es nicht weitergehen. Jedenfalls hatte ich nicht widerstehen können und mir die erste Staffel von »Die kochende Leidenschaft« plus dazugehörigem Kochbuch bestellt. Und jetzt musste ich feststellen, dass man nicht wütend auf einen Raphael Richter sein konnte, während man zusah, wie er Hähnchenschenkel marinierte.
Oder Brotteig knetete.
Dabei starrte ich nicht unbedingt auf den Teig. Vielmehr genoss ich den Anblick des Musculus brachioradialis seines Unterarms und des Mehlstaubs auf seinen Handrücken. Er hatte raue Hände. Hände eines Handwerkers, nicht die eines Intellektuellen. Aber ich wusste ja bereits, dass sie auch sehr sanft sein konnten. Und gerade, weil ich das wusste, musste ich mich trösten. Dazu bot sich etwas Selbstgekochtes geradezu an.
Ich hatte noch weniger Ahnung von Wein als von Chilis und neben diversen Zutaten einen Südtiroler Grauvernatsch eingekauft. Zum einen wegen Raphaels Südtiroler Wurzeln, zum anderen, weil Grauvernatsch wirklich sehr appetitlich nach »Vernaschen« klang, wie ich fand.
Die Rezepte muteten nicht sehr kompliziert an, trotzdem wollte ich es mir nicht unnötig schwer machen und fürs Erste nur Raphaels Tomatensoße ausprobieren.
Die Tomaten warf ich kurz in siedendheißes Wasser, um sie anschließend zu häuten. Zwischendurch gönnte ich mir einen Schluck Wein. Ich schnitt die Früchte in Viertel und entfernte den ganzen Glibber. Da klingelte das Telefon:
»Henning?«
»Ich bin’s.«
»Claude?«
»Ich brauche ein paar Bücher von dir.« Ein Satz, den ich in dieser Konstellation von meinem jüngeren Bruder noch nie vernommen hatte, und der mich deshalb auch sehr irritierte.
»Du brauchst Bücher von mir«, wiederkäute ich.
»Nicht deinen Fantasy-Quatsch, Fachliteratur!«
»Ach so.« Ich gab einen Esslöffel Zucker in einen Topf und stellte den Herd an. »Aber wofür?«
»Für die Anästhesie-App. Ich habe recherchiert. Es gibt etliche Medikamenten-Apps, aber wenn es speziell wird, Pädiatrie oder Anästhesie oder so, dann wird es dünn auf’m Eis.«
»Heißt das, du willst wirklich eine Anästhesie-App entwickeln? Für mich?«
»Doch nicht für dich!«, grunzte er in den Hörer. »Für mein Portemonnaie.«
Darüber musste ich kurz nachdenken. »Aber meine Bücher sind total veraltet. Du brauchst das Neueste vom Neusten. Und eine aktuelle Rote Liste.«
»Die habe ich mir schon besorgt. Mir geht es nur um etwas Grundsatz-Blabla.«
»Also damit kann ich dienen. Oje, jetzt ist mir der Zucker angebrannt!«
»Was machst du da eigentlich?«
»Ich koche.«
Claude prustete los. »Mit Zucker? Du hast hoffentlich noch die Nummer vom Pizza-Dienst.«
»Sehr witzig, aber die werde ich nicht brauchen. Ich fange einfach noch einmal von vorne an. Ich muss nur … einen zweiten Topf finden.«
»Du hast nur einen einzigen Topf?«
»Ich bin ganz sicher, dass ich zwei Töpfe habe! Ich kann den anderen nur –«, ich riss die wenigen Schranktüren auf, die es in meiner Küche gab, »– gerade nicht finden.«
»Der arme Mann, der dich mal heiratet«, stöhnte Claude. »Eine Frau, die Tag und Nacht arbeitet, nur von Kranken und Irren umgeben ist und dann nicht einmal kochen kann.«
»Ich muss auch nicht kochen können, dann gehe ich eben auswärts essen. Aber jetzt gerade möchte ich kochen.« Ich schrubbte mit grimmiger Miene an dem angebrannten Topf herum, was meine Worte beinahe Lügen strafte. »Außerdem kannst du auch nicht kochen!«, blaffte ich.
»Ich kann Steak braten. Perfekt medium. Das muss reichen.«
»Nun, und ich kann Steak essen «, gab ich zurück, stellte den Topf erneut auf den Herd und ließ Zucker hineinrieseln.
»Kann ich nun die Bücher haben oder nicht?«
»Musst sie dir aber selber abholen kommen.«
Es tutete in der Leitung. Anscheinend hatte Claude aufgelegt. Oder ich war aus Versehen an den roten Knopf gekommen. War mir auch ganz recht, denn man kann unmöglich längere Zeit mit dem Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt telefonieren, ohne eine Nackenstarre zu
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