Fesseln der Erinnerung
baldige Rehabilitation. Doch meinen Untersuchungen zufolge sind Ihre Schilde jetzt hermetisch dicht.“
Max holte tief Luft, stand ganz still neben ihr. „Hat er recht?“
„Bring mich nach draußen, Max“, sagte sie und ballte die Fäuste unter der Decke, um nicht nach seiner Hand zu greifen. „Ich muss ganz sicher sein.“
Eine kühle Brise strich über Sophias Gesicht, als Max sie im Rollstuhl auf das Dach der Privatklinik schob. Die salzige Luft führte auch die Vitalität der brodelnden Stadt mit sich. Tausend Gerüche umgaben sie: Zuckerwatte und Fisch, exotische Düfte aus den Restaurants. Auch Geräusche stiegen zu ihnen hoch. Vorbeirauschende Autos, das dumpfe Gemurmel tausender Gespräche, die schrillen Sirenen von Unfallwagen.
„Es bleibt alles draußen“, murmelte Sophia, sie konnte es immer noch nicht glauben. Nichts hämmerte gegen ihren Schädel, jedenfalls merkte sie nichts davon. Ihre Schilde hielten so unglaublich dicht, dass sie nicht einmal einen Widerhall von irgendetwas spürte. „Fahre mich näher an den Rand heran, Max.“
Er schob sie weiter, und sie wagte sich an die stählernen Wände – was immer sie waren – und öffnete sie einen Spalt. Geräusche, Gedankenfetzen. Sie schlug den Spalt wieder zu. „Es gibt keinen Zweifel mehr – ich habe funktionstüchtige Schilde.“ Sie legte die Hände auf die Armlehnen des Rollstuhls und erhob sich. „Voll funktionstüchtig.“ So gute telepathische Schilde hatte sie nicht einmal als Kind besessen.
Max streckte die Hand aus, um sie stützen zu können, und der M-Mediale machte ihr Vorhaltungen. Es scherte sie nicht. Schwankend hielt sie sich auf den Beinen und atmete mehrmals tief ein und aus … überließ sich dem Herzschlag der Stadt. „Ich bin frei“, sagte sie, obwohl ihr natürlich klar war, dass das nicht stimmte. Der Dienst der J-Medialen würde sie nicht gehen lassen, solange sie zu etwas nütze war. Aber – „Ich werde für meine Freiheit kämpfen.“ Sie wollte sich ihre Seele nie mehr vergiften lassen. Nie mehr.
Auf Max’ Gesicht wechselten sich Freude und grimmige Entschlossenheit ab. Sie wusste, was er sagen wollte, auch wenn er es nicht laut aussprach. Stattdessen ergriff der M-Mediale das Wort. „Sie sollten sich wieder hinsetzen, Ms Russo.“
Da sie sich noch ein wenig wackelig auf den Beinen fühlte, widersprach sie nicht. „Haben Sie vielleicht irgendeine Ahnung, wie sich meine Schilde regeneriert haben könnten?“
Der M-Mediale schüttelte den Kopf. „Darum will ich Sie ja auch länger hierbehalten – Schilde mit solchen Schädigungen können sich eigentlich nicht regenerieren. In unserem Archiv habe ich nicht einen einzigen derartigen Fall gefunden. Ich befürchte, sie werden ebenso schnell wieder versagen – “
„In dem Fall sollte ich die mir verbleibende Zeit so gut wie möglich nutzen“, sagte Sophia und ließ ihren Blick über die Stadt schweifen. „Als J-Mediale bekommt man nicht oft eine zweite Chance.“
Der M-Mediale besah sich das Krankenblatt. „Ich kann Sie nur entlassen, wenn während der nächsten vierundzwanzig Stunden ständig jemand an Ihrer Seite ist. Aufgrund der Betäubung besteht die Gefahr eines Rückfalls, Sie könnten ohnmächtig werden.“
„Ich werde dafür sorgen, dass sie nicht allein ist“, sagte Max, sein Ton ließ keinerlei Zweifel aufkommen. „Unterschreiben Sie die Entlassungspapiere.“
Zehn Minuten später saß Sophia auf dem Beifahrersitz neben Max. „Ich habe den Wachposten ordentlich eingeheizt“, sagte er grimmig. „Es kommt niemand zu dir, bevor ich es nicht erlaube.“
„Max, du hast zwar gesagt, ich solle damit bis zu unserer Hochzeit warten, aber ich muss dir unbedingt etwas sagen.“
Max’ Hände umklammerten das Lenkrad. „Dir kann’s wohl nie schnell genug gehen, mein Schatz?“
Bei Max war sie eben ungeduldig und unbeherrscht. „Ich mag deinen Geruch.“
Er sah sie überrascht an. „Das wolltest du mir sagen?“
„Ja.“ Zufrieden lächelnd schloss sie die Augen und gab der Müdigkeit nach, die sie erfasst hatte, sobald sie in den Wagen gestiegen war.
Sie bemerkte nicht, dass sie ihren Bestimmungsort erreichten, er sie ins Schlafzimmer trug und zu Bett brachte. Auch den Kuss auf ihre Stirn nahm sie nicht wahr und die leise geflüsterten Worte, sie sei sein Ein und Alles.
Max saß auf Sophias Couch und dachte zum ersten Mal seit dem Albtraum ihrer Entführung über Nikitas Fall nach. Nach dem, was sie für Sophia getan hatte,
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