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Fesseln der Erinnerung

Fesseln der Erinnerung

Titel: Fesseln der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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flüssiger Teer in einem so hübschen Gesicht, dass man ihn bestimmt damit aufzog – aber er würde hineinwachsen, es mit seinem eisernen Willen in ein herbes männliches Antlitz verwandeln. „Du musst damit aufhören“, sagte er zu dem anderen Jungen.
    Der lächelte, seine Augen waren unglaublich violett, sein Haar hatte die goldene Farbe von reifem Weizen. Der erste Junge war schön, aber dieser hier war ein junger Gott. Seine Lippen waren perfekt geschwungen, sein Teint wie Porzellan, und seine Stimme klang glockenhell. „Warum?“, fragte er.
    „Warum?“ Der erste Junge, den Sophia sofort erkannt hatte, griff nach dem Arm des Freundes und drehte ihn so, dass man die hässlichen Einstiche der Spritzen sehen konnte. „Das ist die äußerliche Wirkung, was meinst du, was das Zeug innen anrichtet?“
    Der andere Junge lächelte wieder, und diesmal nahm Sophia in seinen Augen das Abwesende wahr, den Blick, der nicht ganz von dieser Welt war. „Es lässt mich fliegen, Maxie.“
    „Das ist eine Täuschung.“ Max nahm das Gesicht des goldenen Kindes in beide Hände, zwang den Jungen, ihn anzuschauen, seine Stimme war hart. „Es bringt dich dazu zu glauben, dass es so ist. Und das weißt du auch. Wenn du runterkommst, tut es weh.“
    Einen Augenblick schien der andere ganz klar zu sein. „Na und? Was ist denn so gut an unserem Leben? Hmm?“ Das goldene Kind legte nun seine Hände um das Gesicht von Max. „Einer von ihren Kerlen hat letzte Nacht versucht, mich anzugrapschen.“
    Kalte Wut zeigte sich auf Max’ Gesicht. „Ich bringe ihn um.“
    Die reine Wahrheit, dachte Sophia, das war die ungeschminkte, reine Wahrheit.
    „Schon in Ordnung. Mum hat geschrien und ihn rausgeschmissen.“ Der Junge legte seine Stirn an die von Max. „Sie beschützt mich. Warum aber nicht dich?“
    Dünne Schultern sackten kurz nach vorn. „Keine Ahnung, River.“
    Dann wurde alles schwarz, die Verbindung brach ab, und Sophia spürte, dass sich ihre Lunge schmerzhaft mit Luft füllte.
    „Sophie! Sieh mich an!“ Max berührte ihre Wange, und durch den Schock der Berührung schlug sie die Augen auf.
    Er nahm die Hand sofort weg, weiße Linien zogen sich um seinen Mund. „Was war los? Sag schon.“
    „Nicht hier.“ Ihre Kehle war wie von feinen Splittern zerfetzt. „Bring mich nach Hause. Bitte, Max.“
    Irgendwie gelang ihm das.
    Sobald sie in der Wohnung waren, gaben ihre Knie nach.
    „Ich halte dich.“ Er achtete darauf, jeden Hautkontakt zu vermeiden, und trug sie zum Sofa. Setzte sie aber nicht ab, sondern zog sie auf seinen Schoß. „Schsch“, sagte er, als sie ganz steif wurde. „Lass mich dich halten.“
    „Max – “
    „Ich brauche das.“ Leise und drängend.
    Da er sie wirklich nur hielt, beruhigte sie sich wieder und legte den Kopf an seine Schulter. Gerne hätte sie ihm die Hand auf die Schulter gelegt, aber er trug nur ein dünnes Baumwoll-T-Shirt, und sie wusste nicht, ob das als Schutz genügen würde. Nicht jetzt, da sie so geborgen an seinem Körper lag, seinen eindeutig männlichen Geruch wahrnahm, nach Seife und dem frischen Tannenduft des Aftershaves.
    Sie sog den Duft ein, seufzte und schmolz in seinen Armen dahin. Ewig hätte sie so liegen können, aber sie musste es wissen, musste ihn fragen. „Wer ist River?“
    Max erstarrte, sein Herz schlug so heftig gegen seine Rippen, dass er fast schon damit rechnete, Blut auf seinem Hemd zu sehen. „Mein jüngerer Bruder.“
    Sophia verharrte bewegungslos in seinen Armen, ihre nächste Frage war sehr praktisch, sehr medial. „Bei dir sehe ich deutliche Anzeichen asiatischer Herkunft, aber er ist unzweifelhaft europäischer Abstammung.“
    Diese Frage beruhigte ihn, gab ihm Halt. „Er sah – sieht genauso aus wie unsere Mutter.“ River war ihr Schatten und ihr Spiegel. Das hatte ihn am Ende zerbrochen. „Wir hatten unterschiedliche Väter. Seiner war ebenso blond wie unsere Mutter.“ Der Vater von Max dagegen war ein Unbekannter, der ihm nur die Gene einer anderen Kultur mitgegeben hatte. „Niemand hätte jemals vermutet, dass wir Brüder waren.“ Doch das waren sie. Derselbe Schoß hatte sie geboren, sie waren in derselben Hölle aufgewachsen.
    „Ist er – “ Schweigen, ein langer Atemzug. „Du hättest beinahe in der Vergangenheitsform von ihm gesprochen.“
    Ein erneuter Schmerz, aber er bat sie nicht, das Thema fallen zu lassen. Es war lange her, dass er mit jemandem über River gesprochen hatte, der ihn kannte – und irgendwie

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