Fesseln der Erinnerung
würde, wenn sie es Max mitteilte. Er wusste Bescheid. Was sie getan hatte. Welche Grenze sie überschritten hatte. Schmerz schoss ihre Wirbelsäule empor. „Ich möchte es dir nicht sagen“, sagte sie. Bei diesem Mann konnte sie keine Ausflüchte machen.
Überraschenderweise packte er ihre Hüften nur etwas fester und sagte: „Behalte deine Geheimnisse ruhig für dich.“ Seine Stimme war ganz nah. „Jedenfalls im Moment.“
Sophias Hände legten sich auf seine, am liebsten hätte er den Kopf noch tiefer gebeugt, seinen Mund auf die pulsierende Halsschlagader gelegt und an ihrem Hals gesaugt. Das heftige Bedürfnis, ihr sein Zeichen aufzudrücken, verzehrte ihn fast. Die Welt sollte erfahren, dass Sophia ihm gehörte – damit niemand es wagte, Hand an sie zu legen.
Er musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um gegen das Bedürfnis anzukämpfen und sie stattdessen vor sich her zu den Barhockern am Küchentresen zu lotsen. Mit beiden Händen umfasste er ihre Taille und hob sie auf einen Hocker.
Ihre Hände flogen auf seine Schultern. Ihre Finger griffen zu.
Von einem Augenblick zum nächsten wurden ihre Augen ganz schwarz.
„Sophie.“ Er drückte fester zu. „Bleib bei mir.“
„Ich bin hier.“
„Aber deine Augen.“
„Oh.“ Sie blinzelte, aber das Schwarz in ihnen verschwand nicht. „Das passiert, wenn sich große geistige Energie entlädt, oder … wenn wir intensive Gefühle erleben, das vermute ich jedenfalls.“ Ihre Wangen färbten sich rot.
Der Mann in ihm lächelte zufrieden. „Das höre ich sehr gerne.“ Er beugte sich vor und berührte ihren Mund kurz mit den Lippen, sein Geschlecht pochte – aber da ihm bewusst war, wie weit er schon gegangen war, befand er sich auf der anderen Seite des Tresens, noch bevor sie Luft geholt und sich ihm zugewandt hatte.
„Das war sehr … interessant“, sagte sie. Ihre Brust hob und senkte sich schnell, die leicht gerötete Haut lud zum Küssen ein.
Das beinahe schmerzhafte Pulsieren in seinem Körper, der ungestillte Hunger hätten ihn vielleicht überwältigt, wenn ihm nicht etwas anderes Wichtiges für diesen Abend vorgeschwebt hätte. „Ich mache die Soße“, sagte er mit rauer Stimme. „Möchtest du den Salat zerpflücken?“
Er wartete, bis sie sich die Hände gewaschen hatte und wieder auf dem Hocker saß, bevor er die Frage stellte, auf die er eine Antwort brauchte, ehe er damit beginnen konnte, einen Plan für ihre Ablösung aus dem Medialnet zu entwickeln, damit sie für immer bei ihm bleiben konnte. „Sophia – ich habe mich in Geduld gefasst.“ Er ballte die Faust, denn die Wahrheit würde nichts Gutes bringen, aber irgendwo mussten sie ja anfangen. „Erzähl mir, wohin J-Mediale kommen, wenn sie mit der Arbeit aufhören.“
Absolute Stille. „Manche verlassen den aktiven Dienst früh genug, um Schreibtischjobs im Justizwesen einzunehmen“, sagte sie so leise, dass er sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. „Andere werden wahnsinnig, und der Rest von uns … stirbt.“
23
Max musste sich am Tresen festhalten. „Weiter.“
„Meine Sensitivität“, sagte sie und sah zu den Handschuhen auf dem Boden, „ist das Ergebnis versagender telepathischer Schilde. Sie sind inzwischen so dünn, dass sie jeden Augenblick zerbrechen könnten, dann werden die Gedanken jeden Mannes, jeder Frau und jedes Kindes in meinen Kopf knallen und mein Gehirn zu Brei zerquetschen.“
Bei dieser brutalen Schilderung musste Max die Zähne zusammenbeißen. „Wie lange noch?“
„Nicht sehr lange.“
Heiße, alles zerstörende Wut rauschte in seinen Ohren. „Wann wolltest du es mir sagen?“
Sophia musste schlucken bei dem Zorn, der ihr da entgegenschlug. „Tut mir leid.“ Es tat weh, dass er so wütend auf sie war. „Ich dachte, wenn du wüsstest, wie … sehr ich am Ende bin, würdest du mich nicht mehr wollen.“
„Sophie.“ Er fluchte leise, schüttelte den Kopf, auf dem dunklen Haar schimmerte das Licht. „Sobald sie herausfinden, wie es um dich bestellt ist, werden sie dich rehabilitieren. Darauf läuft es doch hinaus, oder nicht?“
„Ja.“
Seine Schultern strafften sich, sein scharfer Verstand suchte nach einem Ausweg. „Wenn du nicht mehr im Medialnet bist, können sie dir nichts tun. Wir werden einen Weg finden, die verdammten Schilde wieder zu flicken, wenn wir dich erst einmal da raushaben.“
Er kämpfte für sie, dachte sie, und sie spürte tief in sich einen Schmerz. Noch nie hatte das jemand getan.
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