Fesseln der Erinnerung
einer anderen Milch erhitzte. Sie hätte gerne die Finger an ihren Hals gelegt, um seinem Kuss nachzuspüren, dem leichten Schaben des unrasierten Kinns auf der Haut.
„Komm her.“ Ein leiser Befehl und ein Blick, der sie zu ihm zog.
Sie trat zu ihm, öffnete die Lippen zu einem weiteren Kuss – wollte ihm nahe sein –, doch er hielt ihr den Löffel hin, mit dem er etwas Dunkles in die Milch gerührt hatte. „Probier mal.“
Unwillkürlich folgte sie der Aufforderung. Der Geschmack explodierte auf ihrer Zunge, scharf und beinahe bitter. Als er den Löffel wegziehen wollte, hielt sie ihn am Handgelenk fest, spürte seinen festen, verführerischen Körper durch die Handschuhe.
Max schüttelte den Kopf ganz leicht und zog den Löffel sehr langsam fort. „Du kannst die ganze Tasse haben.“ Dann beugte er sich vor und küsste sie, fuhr mit der Zunge über ihre Lippen, als wolle er ihr den Geschmack rauben.
Sie griff nach seinem T-Shirt, als der Boden unter ihr nachgab. Stöhnend zog sich Max zurück – aber vorher zwickte er sie noch kurz mit den Zähnen in die Unterlippe. Zwischen ihren Beinen breitete sich flüssige Hitze aus, alle Muskeln zogen sich zusammen.
„Nimm deine Schokolade“, sagte er mit rauer Stimme, „und setz dich hin, bevor ich der Versuchung nachgebe, deine Jacke aufzuknöpfen, um meine Hände auf deinen wunderbaren Busen zu legen.“
Er wandte sich ab, während sie noch damit beschäftigt war, dieses sinnliche Bild zu verarbeiten. Die Vorstellung, diese kräftigen Hände auf ihrer Haut zu spüren, das sanfte Streicheln glatter Haare, wenn er den Kopf hinunterbeugte … Wie konnten Frauen solche Sehnsüchte bloß überleben? In der Hand den Becher mit Schokolade, beobachtete sie, wie das T-Shirt über den Schultern ihres Detective spannte, als er den Arm hob und das Kakaopulver wieder in den Oberschrank stellte.
Er war so schön.
Und er hatte ihr erlaubt, ihn zu berühren. Selbst wenn er wütend auf sie war, würde er sie nie von sich stoßen, sie nie als unvollkommen zurückweisen.
Damit sie es sich nicht doch noch anders überlegte, stellte sie rasch den Becher ab, ging zu ihm und schlang ihm von hinten die Arme um den Leib, schmiegte die Wange an seinen Rücken.
„Sophie!“
Seine Wärme durchdrang ihre Haut, versengte sie beinahe. „Sobald sich bei mir die ersten Tendenzen von J-Fähigkeiten zeigten“, sagte sie und presste sich noch stärker an ihn, „wurde ich mit anderen telepathischen Kindern in eine Einrichtung gebracht, wo wir eine spezielle Ausbildung erhielten.“
Max legte seine Hände auf ihre Handschuhe, drehte sich aber nicht um, überließ ihr seinen Körper als Schild gegen die Dunkelheit, die sie nie mehr ganz losgelassen hatte. „Dort hat dir jemand wehgetan.“ Seine Stimme klang gepresst, so sehr stand er unter Spannung.
„Wir befanden uns an einem abgelegenen Ort“, sagte sie, fand die Kraft dazu in seiner Stärke. „Denn junge Telepathen haben häufig Schwierigkeiten mit ihren Schilden, vor allem, wenn sie über außergewöhnliche zusätzliche Fähigkeiten verfügen. Deshalb findet die Ausbildung außerhalb von Städten statt.“ Eine nüchtern vorgebrachte Bemerkung, aber der Teil von ihr, der in jenem lang vergangenen Sommer geboren worden war, hielt sich an Max fest und hatte große Angst. „So konnte auch niemand feststellen, dass unser Ausbilder sich nicht an Silentium hielt. Er war wie Bonner.“
„Ein Psychopath.“ Eisige Wut sprach aus den beiden Worten.
Sie nutzte sie als Waffe gegen die Vergangenheit.
„In dem Sommer, als ich acht wurde, zog er mit vier von uns – die alle in der Ausbildung zu J-Medialen waren – an einen noch abgelegeneren Ort zum Intensivtraining. Vor unserer Abreise verlangte und erhielt er die Erlaubnis, uns in seine Schilde einzuschließen, damit wir unsere eigenen ohne Nachteile fallen lassen könnten, sobald wir während des Trainings Probleme bekämen.“ Ihre Finger gruben sich in Max’ Brust, sie wollte durch den Stoff hindurch seine Haut spüren und die Vergangenheit unter den Qualen neuer Empfindungen begraben.
„Sophie!“ Scharf und rau. „Ich kann warten, Baby. Tut mir leid, wenn ich –“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie wollte, dass er es wusste, wollte, dass er alles verstand. „Sobald unser Ausbilder“ – sie konnte seinen Namen noch immer nicht aussprechen, der Schock saß zu tief – „sobald er uns von den anderen getrennt und in seinen Schilden hatte … tat er uns
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