Fesseln der Erinnerung
zu.
„Aber das ergibt doch keinen Sinn“, sagte Max. „Kein funktionierendes System würde sich selbst beschneiden.“
Sie blinzelte, so hatte sie es noch nie betrachtet. Während sie noch damit beschäftigt war herauszufinden, wie es zu dieser Verknappung gekommen sein konnte, lud Max etwas Reis auf seine Gabel und hielt sie ihr vor den Mund.
Ohne groß zu überlegen, öffnete sie die Lippen und ließ sich füttern. Die Zinken fühlten sich angenehm kühl an. „Warum hast du das gemacht?“, fragte sie, nachdem sie den Reis heruntergeschluckt hatte. „Ich dachte, du seiest wütend auf mich.“
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln. „Dein Mund fasziniert mich. Ich möchte Dinge damit tun … Selbst wenn ich wütend bin, finde ich dich wahnsinnig anziehend, J-Mediale.“
Heiß durchfuhr es sie, sie begriff nicht, warum ihr Körper so reagierte … aber der Schmerz war auf einmal fort. Oh! Sie sah ihren Detective an. „Woher wusstest du das?“ Von dem Schmerz, von der Verletzung.
„Ich kenne dich.“ Der sinnlich neckende Ausdruck verschwand wieder. „Jetzt erzähl mir, warum Anker das Medialnet nicht verlassen können.“
„Die meisten Mediale sind mit dem Medialnet durch einen einzigen Strang im Kopf verbunden, den die Abtrünnigen durchtrennt haben müssen, aber Anker sind durch Millionen feiner Fäden an das Medialnet gefesselt.“ Das Netz bot ihnen Sicherheit und war gleichzeitig ein Käfig. „Wenn ich versuchen würde, das Medialnet zu verlassen, würde ich sofort sterben – aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Denn aufgrund meiner speziellen Verbundenheit mit dem Medialnet ist auch ein Teil von mir, meine Persönlichkeit und alle Erinnerungen, im Netz verankert.“
Max legte die Gabel hin, der Appetit war ihm vergangen. „Willst du damit sagen, du würdest dich quasi selbst rehabilitieren, wenn du versuchen würdest zu gehen?“
„Ganz genau.“
Max wusste nicht, ob er das glauben sollte. Soweit er wusste, war Silentium eine Form der Gehirnwäsche – und wie konnte man jemanden besser bei der Stange halten, als ihm zu erklären, dass er das Medialnet nie verlassen konnte?
„Du glaubst, man hätte mir etwas eingeredet?“
Er überraschte ihn nicht mehr, dass sie so leicht in seinen Gedanken lesen konnte. „Du hast dein ganzes Leben in dieser Welt zugebracht. Manchmal ist es schwer, das zu erkennen, was man direkt vor der Nase hat.“ Er hatte sich seine ganze Kindheit über vorgemacht, dass seine Mutter ihn liebte. Anders hätte er nicht überleben können, aber er hatte gewusst, was er tat. Sophia hatte man konditioniert.
Doch sie schüttelte den Kopf, ihre Augen waren wieder vollkommen schwarz. „Durch unsere Arbeit ist uns J-Medialen die harte Realität weit mehr bewusst als allen anderen Medialen. Ich habe die Angelegenheit von allen Seiten betrachtet. Tatsache ist nun einmal, dass man einer solch komplizierten Verknüpfung physisch nicht entkommen kann – selbst wenn ich die Schädigungen des Gehirns überlebte, wäre ich nicht mehr Sophia Russo.“
Es überlief ihn kalt, aber er würde nicht aufgeben. „Willst du mir nicht erzählen, wie du die Fähigkeit entwickelt hast, mit dem Medialnet zu verschmelzen und dich so unlösbar damit zu verbinden?“ In ihren Worten hatte er etwas wahrgenommen, ein leichtes Zögern, das seinen Instinkt geweckt hatte.
Sie legte auch die Gabel hin. „Könnten wir dazu näher zusammensitzen?“
Sein Magen zog sich bei dieser zögernd vorgebrachten Bitte zusammen – sie erwartete eine Ablehnung. Das tat sie immer. Er fragte sich, ob sie sich dessen bewusst war. Er jedenfalls war es, und es machte ihn fuchsteufelswild, dass sie so sehr verletzt worden war. „Natürlich. Ich will nur schnell den Tisch abräumen.“
„Ich helfe dir. Lass uns auch gleich abwaschen, dann können wir uns später sofort auf den Fall konzentrieren.“ Sie zog die Handschuhe wieder an. Als sie einen Teller abtrocknete, hielt Max die qualvolle Stille zwischen ihnen einfach nicht mehr aus. Er trat hinter sie und küsste sie auf den Nacken.
Sophia ließ den Teller fallen.
„Hab ihn.“ Er stellte den geretteten Teller auf den Tisch, trat einen Schritt zurück und zwang sich, zur Kaffeemaschine zu gehen, obwohl er sie lieber in den Arm genommen und fest an sich gedrückt hätte, ganz fest. „Möchtest du etwas trinken?“
Sophia überlegte nicht lange. „Ja.“ Ihre Hände zitterten immer noch, als sie zusah, wie er sich eine Tasse Kaffee nahm und in
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