Fesseln der Erinnerung
genau, wie, wusste auch nicht genau, ob man ihr die Fähigkeit dazu auf immer ausgetrieben hatte. Aber Max war ihr wichtig. Sie hätte für ihn gemordet, dachte sie, denn er hielt sie für eine Frau, der man vertrauen konnte … die man necken durfte. „Die Jacke hat auch Perlmuttknöpfe“, flüsterte sie.
Die Erwähnung des Zettels, den er ihr vorhin in die Tasche gesteckt hatte, schien ihn zu entspannen, und sie hoffte, dass ihm auch das Herz leichter würde. „Hexe“, sagte er leise.
Sie hob die Hände und zog ganz langsam und bewusst, Finger um Finger, die Handschuhe aus. Ließ sie auf den Boden fallen und griff nach seiner Hand.
Ihre Handflächen trafen sich, sie verschränkten ihre Finger miteinander.
Einen Augenblick lang wurde ihr schwarz vor Augen. Als sie wieder sehen konnte, lehnte sie sich mit dem Rücken an Max’ Brust, und er zog sie an sich. „Ich bin da.“ Ein heiseres Flüstern.
Seine Stärke gab ihr Halt, der schlanke, muskulöse Körper war wie eine zuverlässig feste Mauer in einer aus den Fugen geratenen Welt. Es fiel ihr schwer zu atmen – er war überall in der Luft um sie herum, liebkoste sie unsichtbar mit dunklem, männlichem Verlangen.
„Deine Schilde“, sagte er an ihrem Ohr, seine Lippen zwickten zart in ihre Haut. „Bist du in Sicherheit?“
Er war zu Recht besorgt. Sie öffnete ihr geistiges Auge und überprüfte den Schutz im Medialnet, um Risse abzudichten und jede Schwäche zu verdecken. Was sie sah, ließ sie ganz starr werden. „Sie halten, aber anders als normal.“
„Erklär mir das.“
„Meine Schilde waren immer felsenfest, aber jetzt … bewegen sie sich. Als stünde ich mitten in einem Tornado.“ Der Wind auf der geistigen Ebene blies ihr hart ins Gesicht, als sie erschrocken dort stand. „Nichts kann heraus oder hinein, weil die Ebenen der Schilde sich ununterbrochen bewegen und alles zerreißen, was eindringen will.“
„Tut es weh?“
„Nein. Und es ist immer noch wirksamer als alles, was ich bisher gesehen habe, aber ich ziehe dadurch vielleicht die Aufmerksamkeit anderer auf mich.“ Sie hatte so lange überleben können, weil ihre Arbeit untadelig war, sie aber sonst nicht weiter auffiel – die perfekte Mediale.
Noch während sie sprach, klopfte es in ihrem Kopf an. „Jemand hat etwas bemerkt“, sagte sie und antwortete telepathisch. Sir.
Jay Khannas geistige Stimme war sehr klar. Auf der Skala erreichten seine telepathischen Fähigkeiten eine neun Komma acht. Das hatte zu Spekulationen darüber geführt, dass Jay Khanna besonders früh vom aktiven Dienst freigestellt worden war, weil der Rat eine andere Verwendung für ihn hatte. Ms Russo, übermittelte er jetzt, Ihre Schilde haben sich auf signifikante Weise verändert. Brauchen Sie Unterstützung?
Das war die kaum verschleierte Frage danach, ob ihre Konditionierung kurz vor dem völligen Zusammenbruch stand. Wenn sie das bejahte, würde man sie auf der Stelle als Notfall abholen – und in die völlige Rehabilitation schicken, ihre Erinnerungen an Max würden ausgelöscht, ihr Verstand gebrochen werden, bis nur noch eine leere Hülle von ihr übrig war.
Sie schickte einen stillen Dank an den M-Medialen, der ihr die Wahrheit über ihren Status anvertraut hatte, und erwiderte: Meine Schilde scheinen einen noch besseren Schutz entwickelt zu haben.
Schilde entwickeln sich nicht.
Nein, dachte sie, das taten sie nicht. Ich habe mich missverständlich ausgedrückt, Sir. Schon eine ganze Weile trage ich mich mit der Idee eines anderen Schildes – der sich nun frühzeitig aktiviert hat. Das klang vernünftig – alle J-Medialen bastelten permanent an ihren Schilden, um noch einen Tag, noch eine Stunde länger am Leben zu bleiben.
Khanna akzeptierte die Erklärung. Seine Stimme klang wieder ganz professionell, als er das Thema wechselte.
Haben Sie sich die Akten im Valentine-Fall noch einmal angesehen?
Ja, Sir.
Und wie lautet Ihre Schlussfolgerung?
Mein Votum ist unverändert.
Schön. Fahren Sie mit dem jetzigen Fall fort.
Sophia beendete das telepathische Gespräch und ließ sich gegen Max sinken, erzählte ihm, was passiert war. Max bewegte die Hand auf ihrem Bauch langsam auf und ab, etwas in ihr zog sich zusammen, aber es tat nicht weh. Nein, es war eher … interessant. „Was war noch?“, fragte er.
„Wie bitte?“
„Gegen Ende des Gesprächs hat sich der Ausdruck auf deinem Gesicht geändert.“
Ihr fiel ein, was ihr Chef von ihr verlangt hatte, und was es bedeuten
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